Problem von Anonym - 55 Jahre

Ich fühle mich wegen dem Unwissen über die Probleme meiner Tochter schlecht

Seit meine Tochter klein war, war es schwierig sie zu verstehen, besonders ihre Andersartigkeit, aber im August 2016 konnte ich endlich anfangen zu verstehen, warum viele Dinge in ihrem Alltag so problematisch sind, weil sie in dieser Zeit die Diagnose dafür bekam. Sie hat das Asperger-Syndrom in einer starken Ausprägung und das erklärt schon mal sehr viel und ich bin auch heilfroh darüber dass ich endlich eine Antwort darauf habe warum ich sie lange nicht verstehen konnte und sie große Schwierigkeiten hat sich verständlich zu machen. Zu meiner Freude kommen aber auch ein sehr schlechtes Gewissen und ich würde sehr gerne ihr zeigen, dass sie gut ist so wie sie ist. Ich freue mich sehr darüber dass wir uns nach langer Zeit endlich besser verstehen können, und ich möchte ihr mit ihren psychischen Problemen (Asperger, posttraumatische Belastungsstörung, Vertrauensprobleme) helfen.
Als wir mit ihrer Mutter zusammenlebten, gab es zwischen ihr und unserer Tochter ständig Streit, weil meine Ex-Frau der Tochter mit Druck, Zwang, und Gewalt ständig ihren Willen aufzwang und was mich daran verletzt ist, dass ich davon nichts wusste weil meine Ex-Frau das Mädchen immer dann körperlich und emotional angegriffen hat als ich auf der Arbeit war und dann auch noch die Tochter als frech und schwer erziehbar darstellte. Ich kann mir selber nicht verzeihen dass ich so blind war und zu meiner Ex-Frau gehalten habe (sie hat unserer Tochter sogar ihre eigene Persönlichkeit verboten und sie ständig dafür angegriffen nur weil sie sehr anders als viele ist, die Narben an ihrem Körper sprechen Bände), meiner Tochter nicht geglaubt habe als wir noch zu dritt zusammenlebten, den falschen Kinderpsychologen hatten (er hat mich sogar dafür ausgelacht weil ich schon früher das Asperger-Syndrom bei dem Mädchen vermutet habe und er sie auch sehr schlecht behandelt hat, er hat zu ihrer Mutter gehalten die das Mädchen immer als frech und schwer erziehbar darstellte ), und noch viel mehr kann ich mir selbst nicht verzeihen dass ich das Leid unserer Tochter nicht sehen konnte (sie war bis zum Alter von 19 Jahren schwer magersüchtig, hat sich nur da geritzt wo keiner es sehen konnte, hat sich immer mehr von anderen Menschen distanziert, hat exzessiv gearbeitet nur um den Schmerz nicht fühlen zu müssen, aber zum Glück ist sie sehr diszipliniert und hat selbst in ihren schlimmsten Krisen weder zu Alkohol noch Drogen gegriffen, sondern durchgehalten bis zum Burnout). 2013 ist sie dann zu ihrem Ex-Freund in ein anderes Bundesland gezogen, aber Juni 2016 zog sie dann wieder bei mir ein und fing eine Therapie in einer guten Tagesklinik an. Da kam dann die Diagnose Asperger und uns beiden wurde vieles klar. Am liebsten würde ich ihr so oft wie möglich zeigen dass ich sie so liebe wie sie ist, aber da sie von der gemeinsamen Zeit mit ihrer Mutter und meinem Unwissen schwer traumatisiert ist, weiß ich nicht wie ich es am besten anstelle.
In den letzten Jahren gab es zwischen ihr und mir manchmal Stress aber wir beide konnten uns auf eine ungewöhnliche aber effektive Methode gegen Verständnisprobleme einigen, nämlich dass sie mir ihren Asperger auf schulische Art und Weise erklärt.
Ich würde gerne wissen wie ich mit meinem schlechten Gewissen gegenüber meinem Unwissen umgehen soll, am liebsten würde ich zurück in die Vergangenheit und z.B. meine Ex-Frau schon viel früher verlassen, um meine Tochter früher vor ihrer Mutter schützen zu können, aber es geht nicht. Wenn ich meine traumatisierte Tochter sehe, bin ich stolz darauf dass sie trotzdem weiterkämpft (sie hat auch so viele tolle Seiten, die ich sehr an ihr bewundere, wie ihre vielen Hochbegabungen (Sprachen, Naturwissenschaften, Kunst, Sport, ihr fotografisches Gedächtnis, und extremes Hintergrundwissen über viele Gebiete)), aber fühle mich schuldig dafür sie nicht früher vor ihrer Mutter hätte retten können, denn ich konnte es 20 Jahre nicht sehen wie meine Ex-Frau das Mädchen schwer gequält hat. Sie ist heute noch oft sehr ängstlich (hat starke Angst z.B. etwas falsch zu machen), ist extrem vorsichtig, und behält leider viel zu viel für sich. Was kann ich tun um ihr zu zeigen dass sie nicht mehr so übertrieben ängstlich und vorsichtig sein muss und wie kann ich mein Gewissen beruhigen?

Nuala Anwort von Nuala

Hallo du!

Danke für deine Zuschrift - leider komme ich zeitlich erst jetzt zum Beantworten.
Zuerst möchte ich dir zurückmelden, welch fürsorgenden Vater ich nun anhand deiner Worte vor Augen habe. Ich glaube, deine Tochter kann sich sehr glücklich schätzen, dich zu haben. Allein die Tatsache, dass du dir nun diese ganzen Gedanken machst und daran zweifelst, es "richtig" gemacht zu haben, zeugen von deinen väterlichen Qualitäten. Du hast ja sogar schon zu einem viel früheren Zeitpunkt einen Verdacht wegen Asperger gehabt - das ist schon beachtlich (und wenn ich lese, an welchen Kinderpsychologen ihr geraten seid, kann ich ehrlich gesagt nur mit dem Kopf schütteln)!

Du denkst sehr viel nach und haderst offenbar mit den früheren Jahren. Ich kann dich verstehen. Es schmerzt, Missstände und Ungerechtigkeiten am eigenen Kind übersehen zu haben. Bestimmt fühlst du dich sehr schuldig und deswegen so traurig.
Aber: Vielleicht weiß deine Tochter all das längst. Vielleicht war ihr schon als Kind klar, dass ihre Mutter es sehr geschickt verstand, dich einzuwickeln und zu täuschen. Vielleicht ist deine Tochter dir deswegen gar nicht grundlegend böse. Immerhin warst du viel außer Haus. Das soll keine Rechtfertigung sein, doch kann es dir helfen, dir selbst gegenüber gnädiger zu sein.
Und: DU hast deine Tochter nicht misshandelt! Ein Kind weiß das sehr wohl auseinanderzuhalten. Sicher: Es gab wahrscheinlich einige Momente und Phasen, in denen sie sich deinen Beistand gewünscht hätte. Das müssen wir an dieser Stelle nicht leugnen. Sie muss sehr verzweifelt gewesen sein, was ihr körperlichen Narben allein schon zeigen. Doch habt ihr beide nun zu eurer Basis zurückgefunden, so scheint es mir. Und ich plädiere stark dafür, diese gute Basis ab sofort konsequent auszubauen, sodass ihr gemeinsam in eine rosige Zukunft schauen könnt. Das bedeutet, dass du dich weniger in deinen Fehlern, Versäumnissen und allgemein den vergangenen Erlebnissen bewegen solltest. Sondern nun ganz fest mit beiden Beinen in der Gegenwart verwurzelt bist. Und daraus für euch stimmige Zukunftsperspektiven entwickeln kannst.

Die Vergangenheit kannst du nicht verändern, aber du kannst aus ihr lernen und das Beste daraus machen. Denn bestimmte Dinge würdest du jetzt mit diesem Wissen ganz anders angehen - und das ist eine positive Entwicklung!
Mach dich bitte nicht nieder. Du hast damals bestimmt viel für eure Familie getan, aber eben wohl anders, als du es dir jetzt ausmalst und wünschen würdest. Denke an das, was du damals GUT GEMACHT hast, du warst doch kein Rabenvater!

Ich halte es für sehr zentral, dass du anfängst, viele Gespräche mit deiner Tochter zu führen. Denn all das, was du uns anvertraut hast, sollte vor allem sie selbst wissen. Nicht nur, um eure Bindung zu stärken, sondern auch für deine psychische Erleichterung und ein bessere Verständnis ihrerseits. Geht ruhig alte Situationen in der Familie durch und schildert eure jeweiligen Sichtweisen und Gefühle dabei. Natürlich nur, wenn sie das möchte! Was ich auf jeden Fall machen würde an deiner Stelle, wäre eine offene Aussprache, in der du deinen innerlichen "Knoten" zum Platzen bringen lassen kannst. Dass sie einmal hört, wie schwer du dir mit allem tust und wie schmerzhaft die Vergangenheit auf dir lastet.
Aus diesen Gesprächen können dann allmählich die guten Dinge erwachsen, denn ihr sollt euch nicht in den traurig stimmenden Geschichten verlieren. Es ist für euren Seelenfrieden sehr wichtig, nach vorn zu blicken und das Schöne zwischen euch zu leben. Darauf solltet ihr euch nach einer ersten Aussprache konzentrieren.

Deine Tochter kann sich auch selbst am besten dazu äußern, was sie als Asperger - Autistin und als dein Kind am meisten von dir braucht und schätzt. Deswegen finde ich die ehrlichen und umsichtigen Gespräche so wichtig. Sie bringen euch noch näher zusammen und zeigen auf, was ihr euch bedeutet. Du kannst sie beispielsweise einfach in den Arm nehmen und deinen Gefühlen freien Lauf lassen. Die Tränen der langen Zeit fließen lassen. Ihr sagen, wie lieb du sie hast. Wie stolz du auf sie bist.
Wenn ihr das aushalten und annehmen könnt, dass es gegenseitig schmerzt, ist das ein großes Geschenk. Aber es muss nicht genau so sein. Hauptsache, du kannst das Unausgesprochene in irgend einer Form für sie begreifbar und dich nahbar machen.

Vertrauen und Mut können da besonders gedeihen, wo genau dies vorgelebt wird. Also angenommen, du hast es bisher vermieden, mit deiner Tochter offen zu sprechen und deine Gedanken und Emotionen zu zeigen, kann genau das nun das Zielführende sein. Denn so erhält sie die Chance, in deiner schützenden Gegenwart allmählich zu öffnen und ab - und zu etwas von sich zu erzählen. Wenn du ihr dabei das Gefühl gibst, dass sie dir gerne etwas sagen kann, aber dies keinesfalls muss, kann sie sich stückweise fallenlassen. Mit Geduld können die folgenden Jahre dann sehr beglückend für euch ausfallen, sofern ihr euch gegenseitig den Raum und die Zeit dafür gebt. Ihr habt genau dafür günstige Voraussetzungen, denn ihr habt schon damit begonnen, euch verstehen lernen zu wollen. Nun kannst du versuchen, dass von DIR noch mehr einfließt, es also nicht "nur" um das Verstehen ihrer Eigenheiten und Weltsichten geht.

Es muss auch nicht immer das gesprochene Wort sein. Briefe, Mails, Zitate und kleine Aufmerksamkeiten wirken ebenfalls sehr gut und können gerade bei großen Hemmungen eine angenehme Alternative sein.

Wie wäre es außerdem mit folgenden Ideen, um euer Verhältnis zu kräftigen:

- Versucht, regelmäßig in Kontakt zu stehen, auch wenn ihr weiter voneinander entfernt lebt. Eine schlichte Postkarte zu senden kann beispielsweise eine liebevolle Geste zwischendurch sein.
- Nimm auch mal an einer ihrer Therapiesitzungen teil, sofern das gerade noch aktuell ist.
- zeige ihr immer wieder aktiv, wie interessiert und neugierig du bezüglich ihrer Person, ihrer Talente und Neigungen bist! Das macht ihr ein gutes Gefühl, beflügelt sie und spornt sie an.
- Plant gemeinsame Urlaube, und sei es ein Wochenendausflug zu lieben Verwandten oder etwas nicht zu weit Entferntes. Mit wenig Aufwand ist schnell eine "Flucht" aus dem Alltag umgesetzt.
- Sucht euch gemäß euren Interessen etwas Passendes, was ihr in eurer Freizeit zusammen erleben könnt. Dies können auch ganz neue Dinge sein, beispielsweise eine gemeinsame Herausforderung, die euch gleichermaßen reizt. Der Vorteil besteht hier aus dem "nicht-unbedingt-über Persönliches-reden-Müssen", weil eine Aktivität im Vordergrund steht.
- Besucht gemeinsam Fortbildungen, Seminare, Workshops, Infoabende etc. rund um Asperger. Oder du machst das, was einerseits für dich selbst gut ist, um dich sicherer im Umgang mit ihr zu fühlen und gleichzeitig in Gesprächen wieder einfließen kann. So merkt sie, wie wichtig es dir ist, dass es jetzt ganz anders läuft als früher und du dich wahrhaftig um sie bemühst!
- Schließt euch einem geeigneten Gesprächskreis mit Gleichgesinnten bzw. anderen Betroffenen an; dies wäre für dich als Vater auch allein interessant, Stichwort Elterngruppe und Asperger. Oder allgemeiner: Du kannst davon profitieren, deine Empfindungen zur Vergangenheit mit anderen Eltern zu teilen.
- Ermutige sie, sich in ihrer Altersgruppe bzw. mit anderen Asperger-Autist:innen zu vernetzen. Das stärkt sie zusätzlich und gibt ihr den nötigen sozialen Input, den du ihr eher nicht geben kannst.

Kurzum: Neben dem Friedenschließen mit eurer Vergangenheit macht ihr euch jetzt ein schönes Leben als Kleinfamilie. Das darf auch lange dauern. Solange ihr zusammenhaltet und euch eure Dankbarkeit zeigt, euch haben zu dürfen, könnt ihr noch viele Höhen und Tiefen durchstehen und euch an vielen kleinen und größeren Erfolgen und Glücksmomenten erfreuen.

Ich wünsche dir alles Liebe und eine tolle Zeit mit deiner wunderbaren Tochter.
Nuala