Problem von B - 24 Jahre

Alle Prüfungen vermasselt, was soll ich nur machen?

Liebes Kuka-Team,

Erstmal ein Lob an das ganze Team die sich die Zeit für die Sorgen und Probleme anderer Menschen nehmen. Ihr seid wirklich super.

Nun zu mir. Einfach mal eine kurze Zusammenfassung. Ich bin 24, Student, habe vor meinem jetzigen Studium mich an anderen Privaten FHs ausprobiert, finaziel war es ein Desaster sodass ich die Motivation für mein damaliges Studium und das davor verloren hatte.

Ich wollte ein neu Beginn starten, meldete mich bei meiner staatlichen FH für das Fach Physikalische Technik an. Es war alles toll und wunderbar, richtige Vorlesungen, tolle Komulitonen (auch wenn ich das Wort zum kotzen finde :D) echt super Dotzenten, ein Interessantes Fach wo ich mich später gerne in der Forschung sehen könnte etc.

Es könnte ja nur super werden, dachte ich mir. Ich war nach 4 Jahren endlich mal wieder richtig am "Lernen", dachte ich zumindest. Nun dann kam der "Tritt in die Eier", so habe ich es für mich zumindest gefühlt. Ich habe es tatsächlich geschafft, das ich in jeden Fach durchgefallen bin.

Ansich verstehe ich das Fach was ich studiere, zumindest gehe ich davon aus, die Profs waren nach besprechen der Klausur anderer Meinung. Ich weiß nicht was ich machen soll? Vielleicht ein anderes Fach?

Ich müsste jetzt im Sommer die Prüfungen vom 2. und vom 1.Semester nachschreiben, sodass ich überhaupt ins 3.Semester darf.

Meine Laune ist seitdem total im Eimer, Motivation zum lernen fehlt mir seitdem total. Ich will doch einfach mal endlich etwas schaffen, so schwer kann es ja nicht sein. Nun stehe ich da, habe es wieder geschafft mich selbst zu entäuschen. Die einzigen die an mich glauben sind meine Eltern.

Ich will es schaffen, so wollte ich noch auch an den Prüfungen versuchen trotz dem Wissen das ich durchfallen werde. Also der Wille ist noch da, ich brauche da wohl noch Zeit um meinen Lernweg zu finden. Mit Skripten und Videos kam ich super klar, das Lernpensum muss ich definitiev stark anheben, mit 6 Wochen vor Prüfung lernen wirds anscheinend nichts. Auch war ich in den Vorlesungen und auch in den Tutorien (manche mehr besucht als andere), an Übungen muss ich intensiver dran Arbeiten, das Ergebnis hatte ich ja durch das Durchfallen gesehen.

Wie dem auch sei. Ich konnte zumindest meine Frust bisschen rauslassen bzw. meine Fehler mir vors Auge bringen. Hattet ihr ähnliche Erfahrungen? Was habt/würdet ihr in so einer Situation machen?

PaulG Anwort von PaulG

Lieber B.,

leider hast du jetzt bis in den neuen Monat auf eine Antwort warten müssen. Vielleicht hat sich ja in der Zwischenzeit eine neue Option für dich ergeben - falls nicht, hoffe ich, dass ich dir ein wenig Richtung geben kann, zumal wir gleich alt sind.

Ich sage es gleich: Manches von dem, was ich dir schreiben werde, wird für dich nicht angenehm sein. Ich bin aber der Meinung, dass es Situationen gibt, in denen die harten Fakten schönen Worten vorzuziehen sind. Hier ist eine solche Situation, und ich hoffe, du kannst mir das verzeihen - denn es geht um deine Zukunft.

Lieber B.: Ich weiß, dass das in Zeiten sozialer Netzwerke, von WhatsApp und Kurznachrichten oft für überbewertet gehalten wird. Aber deine Rechtschreibung ist nicht die beste, und das ist auffällig. Dein Text ist nämlich keiner von den Texten, denen man ansieht, dass er "so nebenher" auf dem Handy getippt wurde - er ist zu ausgefeilt und insgesamt zu korrekt, um in einer hektischen Situation entstanden sein zu können. Möglicherweise hältst du es für kleinlich und arrogant, wenn ich von dem, wie jemand schreibt, Rückschlüsse ziehe. Vergiss aber nicht: So wie im direkten Gespräch gewisse Regeln üblich sind - sich ins Gesicht zu blicken, nicht irgendetwas nebenbei zu machen, dem Gesprächspartner Raum zu geben, sich zu äußern, und nicht zu laut zu sprechen - so ist auch im Schriftverkehr die Beachtung von Regeln ein Zeichen für Aufmerksamkeit und Wertschätzung. Da ich nicht annehme, dass du Grund hast, uns gegenüber Geringschätzung zu demonstrieren, und dein Text auch nicht fehlerhaft genug ist, um an überfüllter Straßenbahn, Alkohol o. Ä. zu liegen, bleibt mir nur folgender Schluss: Wenn du nach mehreren Jahren Studium "Dotzenten" (statt Dozenten), Komulitonen (statt Kommilitonen), "ansich" (statt an sich), "neu Beginn" (statt Neubeginn), "finaziel" (statt finanziell), "definitiev" (statt definitiv) schreibst, dann muss das daran liegen, dass du mit diesen Begriffen nicht so souverän umgehen kannst, wie es der Fall sein sollte.

Dein Text lässt erkennen, dass du mit Kommasetzung, zusammengesetzten Hauptwörtern, Groß- und Kleinschreibung und vor allem Fremdwörtern nicht sicher bist. Wie gesagt: Ich kann mich täuschen, und vielleicht war es wirklich einfach nur die späte Stunde, in der du geschrieben hast. Aber ich werde das Gefühl nicht los, dass die Struktur der Fehler dann eine andere wäre, oder dass es noch viel mehr davon geben müsste. Beides ist nicht der Fall. Du bist nicht sicher in deiner Muttersprache - jedenfalls nicht so sicher, wie man es sein sollte, wenn man in die Forschung gehen will. Begriffe, die dir in der Uni täglich tausendfach begegnen, schreibst du falsch. Woran liegt das, B.? Bist du in deinem Studium nur gelegentlich anwesend? Hast du nie einen Seminarplan gelesen? Oder ist es vielleicht so, dass dich das Studium zwar thematisch total interessiert, du aber einfach nicht der Mensch bist, der sich zwischen lauter griechischen und lateinischen Begriffen zurecht findet, nicht der Mensch bist, der eine Abhandlung in wissenschaftsgerechter Sprache gern schreibt? Nicht der Mensch, der Freude daran hat, Dinge exakt zu beschreiben und sich dafür Fremdwörter anzueignen, die Unterscheidungen ermöglichen, die im Deutschen sonst nicht möglich sind? Nicht der Mensch, dem die Begriffe, die in einem wissenschaftlichen Fach täglich Brot sind, irgendwann so leicht von den Lippen gehen wie "Frühstück" und "Mittagessen"? Es ist keine Schande, denn manche Menschen haben eben eher eine praktische Intelligenz, denken nicht gern in abstrakten Konzepten, sondern gehen lieber mit handfesten Tatsachen um.

Daher, so leid es mir tut: Stelle dir die grundsätzliche Frage, ob du an einer Universität oder Fachhochschule richtig aufgehoben bist. Ich weiß nicht, wann du deinen Schulabschluss gemacht hast. Tatsache ist, dass du - wenn ich mir den Verlauf deiner letzten Zuschriften anschaue - dir diese Frage irgendwann schon einmal gestellt hast. Dass du seitdem im Grunde nichts erreicht hast, zeigt dir, dass du vielleicht nicht für den Weg gemacht bist, den du eingeschlagen hast. Es ist nicht schlimm, das erst über viele Hürden zu erkennen - wir alle müssen eh bis siebzig arbeiten -, aber wenn du bisher weder einen Abschluss erreicht hast noch sagen kannst, dass dir das Studium zumindest leicht fällt, dann kann es sein, dass du radikal umdenken musst.

Wenn dich der technische Bereich interessiert, B., dann gibt es viele Möglichkeiten: Zum Beispiel als Chemielaborant, als Bauzeichner, als Feinmechaniker, als Elektroniker - alles sehr anspruchsvolle Berufe, die jedoch nicht dasselbe Arbeitsklima voraussetzen, wie es in einer Hochschule vorhanden ist, und in denen die praktische Erfahrung, das Mitdenken in einem Betriebsablauf, die handwerkliche Geschicklichkeit und körperlicher Einsatz genauso wichtig sind, wie das Lernen und Auswendiglernen. In einer Hochschule dagegen zählt in erster Linie, Wissen präzise wiedergeben zu können, und abstrakte Konzepte anwenden zu können. Ich bin Religionswissenschaftler; mein Studium verlangt von mir, dass ich solche (im Lichte des Alltags) absurden Dinge wie die Unterscheidung zwischen "Diachronie" und "Synchronie", zwischen "Atheismus" und "Agnostizismus" nicht nur hinkriege, sondern regelrecht davon gefesselt bin. Dann gibt es den Mathematiker, der eine Polynomdivision nicht nur können, sondern für den sie so selbstverständlich sein muss wie Wassertrinken. Beides ist nicht jedem gegeben. Heißt das jetzt, dass ich oder der Mathematiker intelligenter wären, tollere Menschen? Nein, mit Sicherheit nicht. Wir sind im Grunde hilflose, verstaubte Zimmerpflanzen, vielen von uns mangelt es an Alltagsfähigkeiten, und wir sind darauf angewiesen, dass eine arbeitende Bevölkerung unsere Forschung - oder wenigstens mal das Studium - finanziert, da sie auch ohne Nachdenken über Monotheismus und radioaktiven Zerfall überleben könnte. Wir müssen uns immer wieder dafür rechtfertigen, dass es uns überhaupt geben darf - und Gott stehe uns bei, wenn wir das eines Tages nicht mehr können. Der Mensch, der an der Werkbank steht, braucht auch sehr viel Intelligenz: Er muss eine Planung überblicken, er muss rationale Erwägungen über Verlust und Verschleiß treffen, er muss Arbeitsschritte koordinieren, er muss Sicherheitsbedenken reflektieren... Intelligenz besteht nicht nur im Hochschulstudium. Es gibt genauso die praktische Intelligenz, die soziale Intelligenz und die emotionale Intelligenz, die allesamt genauso wichtig, eher noch viel wichtiger sind, als die akademische. Du musst dich fragen: Bist du der geborene Akademiker? Ich glaube nicht mal, dass ich es bin. Ich habe nicht vor, in der Forschung zu bleiben, und ehrlich gesagt - ich bin auch gar nicht so ehrgeizig, mich meinen Dozenten so anzudienen, wie ich das dafür müsste. Es ist eben so. Aber irgendwie muss eine Entscheidung her, B. Und sie muss jetzt her.

Frag dich einmal nicht, wohin du dein Studium entwickeln willst. Frag dich lieber, was du im Leben eigentlich erreichen willst: Bis wann, hast du gedacht, würdest du von deinen Eltern unabhängig leben können? Wie sehen deine privaten Pläne aus, und bis wann willst du sie verwirklichen? Einfacher gefragt: Wo willst du in fünf Jahren stehen? Stell dir selbst diese Frage immer wieder - am besten dein ganzes Leben lang. Du würdest aus einem Studium fraglos viel mitnehmen, aber ich bin mir sehr unsicher, ob es dich wirklich erfüllen würde. Was spricht also dagegen, einfach mal ein paar Bewerbungen zu schreiben? Du musst nichts von dem, was ich dir gesagt habe, auch nur annähernd berücksichtigen. Es ist deine Entscheidung. Klar ist aber mehrerlei, B.: Dich immer wieder zu ermahnen, mehr und besser zu lernen, führt zu nichts. Denn wenn du bisher keine optimale Strategie gefunden hast, und dich zum Lernen eigentlich zwingen musst, dann liegt der Gedanke nahe, dass dir der Gegenstand eigentlich nicht sehr viel gibt und du den Nutzen dahinter nicht unbedingt siehst. Auch wenn dich etwas fasziniert und du gerne darüber hörst, muss das noch nicht heißen, dass du tatsächlich in der Lage bist, dich intensiv damit auseinanderzusetzen und es dir einzuprägen. Wenn du von etwas wirklich gefesselt bist, kommt der Lerneffekt zu einem gewissen Teil von allein, weil du die gehörten Dinge in dir bewegst, wiederholst und schon sehen kannst, wo du noch Nachholbedarf hast. Wenn dagegen alles vor dir liegt wie ein riesiger Berg, und du gar nicht so richtig weißt, wie du ihn besteigen sollst, dann ist dir der Kern des Ganzen - die Leidenschaft für ein Fach - bisher verschlossen geblieben. Und du wirst immer unbefriedigt sein, wirst immer kämpfen. Das kann bei einem Bereich, in dem du dein Berufsleben verbringen willst, nicht Sinn der Sache sein. Es mag dich reizen und interessieren, aber es fesselt dich nicht und du brauchst es für dich persönlich nicht. Du kannst dir ein Leben in diesem Fach vorstellen, aber ein Leben ohne dieses Fach anscheinend nach wie vor. Und da dir das jetzt schon in mehreren Studiengängen so ging, ist zu vermuten, dass es nicht besser werden wird. Du flüchtest vor einer Herausforderung, der du nicht entkommen kannst, weil sie in dir selbst liegt. Und diesen Gedanken bitte ich dich, aufzunehmen. Vergiss dabei bitte auch nicht: Ein Studium abzuschließen, ist eine Sache. Es schlecht abzuschließen, ist im Grunde die Freifahrkarte ins persönliche Elend. Wie willst du in etwas Befriedigung finden, ihm dein Leben widmen, wenn dir entweder die Fähigkeit oder der Ehrgeiz fehlen, darin zu den Besten zu gehören? Im Studium ist es anders als in der Schule, B.: Man muss nicht nur bestehen. Man muss gewinnen wollen. Denn du selbst machst die Ziele. Und "nur bestehen" ist gleichbedeutend mit "Ich will gar nichts erreichen". Dann sei so ehrlich zu dir, und suche das, wo du nicht "nur bestehen" willst.

Ich war sehr ehrlich zu dir - und natürlich erwarte ich nicht, dass du mir nach alldem jetzt gut bist. Du hast zuviel Energie in das Studieren gesteckt, um einfach aufgeben zu können. Das verstehe ich. Verfluch mir gerne die Knochen, B., aber wenn du damit fertig bist - sei ehrlich zu dir selbst. Was auch immer das heißt. Darum bitte ich dich.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul