Problem von Anonym - 16 Jahre

Ich mache mir Sorgen um meinen Lehrer

Hallo liebes Kummerkasten-Team,

ich bin Anna und bin 16 Jahre alt. Ich hoffe, ich bin mit meinem Anliegen hier richtig.
In letzter Zeit mache ich mir Sorgen um meinen Lehrer (40). Ich kenne ihn seit anderthalb Jahren, auch privat, da wir uns gut verstehen. Eigentlich ist er schon eine Art Freund für mich geworden.
Ich habe ihn immer als fröhlichen hilfsbereiten Menschen erlebt. Er ist der kumpelhafte Lehrertyp, der sich jedoch nur bedingt durchsetzen kann. Obendrein verhält er sich manchmal kindisch und macht pubertäre flache Witzchen.
Doch seit anderthalb Monaten wirkt er zunehmend lustlos und hat Stimmungsschwankungen. Beispielsweise wird er Schülern gegenüber grundlos aggressiv oder ist beleidigt wie ein kleines Kind, wenn einer seiner Kollegen eine andere Meinung hat als er. Vor einigen Tagen hat er die Schüler der Cafeteria wortwörtlich angeschrien, weil sie angeblich zu langsam abgerechnet hätten. Dieses aggressive Verhalten kennen meine Mitschüler und ich überhaupt nicht von ihm. Wir hatten angenommen, dieser Vorfall sei einmalig, aber in letzter Zeit häufen sich ähnliche Vorfälle wie dieser.

Heute Morgen fragte ich meinen Lehrer in einer Pause nach etwas Belanglosem. Statt mir eine einfache Antwort zu geben, erzählte er plötzlich, im Moment sei alles so schrecklich. Er wolle das hier alles nicht mehr, er wolle nur noch weg. Während er dies sagte, brach er beinahe in Tränen aus.
Warum ich mir Sorgen mache? Er hat mir schon einmal erzählt, er sei während seines Studiums schwer depressiv gewesen. Nebenbei weiß ich, dass er kaum Freunde hat, zu Kinderzeiten emotional vernachlässigt wurde und auch noch heute unter der Fuchtel seiner stockkonservativen Eltern steht und sich einsam fühlt. Mit seinem Beruf sei er überfordert, wie er mir ebenfalls erzählte.

Ich weiß, dass mich das Leben meiner Lehrer nichts angeht, aber wie gesagt, ich mache mir Sorgen um ihn. Es hört sich vielleicht seltsam an, aber ich fürchte, dass er sich eines Tages etwas antut. Kann ihm nicht irgendwie helfen?

Liebe Grüße

Anna

Nuala Anwort von Nuala

Liebe Anna,

es ist in meinen Augen eine tolle Sache, dass du dich so mitfühlend und besorgt zeigst. Ihr habt eine ungewöhnliche Beziehung zueinander, die jedoch keinesfalls in Abrede gestellt werden sollte. Du hast, wenn ihr freundschaftlich verbunden seid und dies klar vom Schulischen getrennt ist, durchaus das Recht, ihn auf deine Beobachtungen hinzuweisen und nachzuhaken, vor allem deswegen, weil er sich von sich aus dir anvertraut hat, es förmlich aus ihm herausgebrochen ist. So würdest du es ja bestimmt auch bei anderen Kumpels und Freund:innen machen.
Ich finde allerdings, dass du dabei auch auf dein Wohl achten musst. Er ist erwachsen und hat Erfahrung mit seinen depressiven Verläufen. Es liegt schlussendlich in seiner Verantwortung, sich um seine Besserung zu kümmern. Was aber nicht bedeutet, dass du ihm nicht beistehen darfst - im Rahmen deiner Möglichkeiten und Kräfte!
Bitte besprich dies auch mit deinen Eltern und gerne auch mit anderen Lehrkräften, damit sich zwischen euch nichts verselbstständigt, was du am Ende nicht mehr allein auffangen kannst.

Mittlerweile ist etwas Zeit ins Land gegangen. Vielleicht hat dein Lehrer inzwischen erkannt, dass er einen Schlussstrich an dieser Schule ziehen sollte - um sich zu erholen. Vielleicht macht er aber also weiter wie bisher, dann kannst du ihn ruhig sanft ermuntern, seinen Job zu pausieren oder sogar komplett aufzugeben.
Möglicherweise gibt es an eurer Schule sogar strukturelle Dinge, die verändert werden könnten - manche Sachen stressen unnötigerweise enorm, die auch anders gelöst werden könnten!

Er könnte eine Kur beginnen, eine längere Reise antreten oder einfach zuhause ausspannen - sofern es wirklich "nur" der stressige bzw. für ihn nicht passende Beruf ist. Streng genommen müsste er für sich ja auch noch herausfinden, ob er generell kein Lehrer sein möchte oder nur nicht mehr an eurer Schule. Und ob es überhaupt ursächlich mit dem Unterrichten zusammenhängt oder das nur erschwerend hinzukommt, die tieferen Auslöser anderswo zu suchen sind, z.B. im privaten Bereich.
Eventuell müsste er sich therapeutisch oder sogar klinisch helfen lassen. Einige Wochen oder Monate in einer psychiatrischen Klinik, die mitunter außerhalb im Grünen liegt, können da viel bewirken.

Du kannst ihm, wenn sich das auch für dich gut anfühlt, immer wieder kleine Gespräche anbieten und ihm signalisieren, dass du ihn sehr gerne hast. Das gibt ihm bestimmt schon Trost und etwas neue Energie. Und bestenfalls machen da auch deine Mitschüler:innen und das Kollegium mit, sodass dein Lehrer vielleicht in absehbarer Zeit wieder zu seiner alten Fröhlichkeit zurückfinden kann - unabhängig davon, wohin ihn seine berufliche und private Reise führt.

Alles Liebe!
Nuala