Problem von Anonym - 15 Jahre

Ich will hier raus

Liebes Kummerkastenteam ,
Vielen Dank schonmal im Vorraus , dass ihr mir helft . Das spendet mir irgendwie Trost .
Dich jetzt zu meinem Anliegen : Ich habe das Gefühl , dass ich seit ca. einem halben Jahr immer unglücklicher werde . Irgendwie merke ich , dass ich raus aus dieser Gesellschaft möchte . Ihr müsst wissen , dass ich an einer sehr konservativen Mädchenschule bin und das Gefühl habe genau das Gegenteil von dem zu sein, was uns dort vermittelt wird . Außerdem lebe ich in einer sehr kleinen Stadt wo praktisch jeder jeden kennt . Und ich sehne mich . Nach Menschen , die mit mir das Ende des Regenbogens suchen und bis zum Morgengrauen tanzen (ist natürlich völlig überspitzt aber ich hoffeihr versteht was ich meine ) . Ich habe auch sehr liebe Freunde und verstehe mich sehr gut mit ihnen , aber sie verstehen mich in diesem nach Freiheit strebendem Punkt irgendwie nicht . Oft schreibe ich meine Gedanken in beispielsweise Gedichten nieder und es hilft auch , aber nie sehr lange . Es würde mir glaube ich helfen , wenn ich bestimmte kleine Ziele hätte , z.B. ein Austausch oder eine Reise mit unbekannten . Kennt ihr vielleicht Jugendgruppen voll von Freigeistern ? Ich weiß , das hört sich alles sehr Wirr an aber ich muss mich einfach jemandem anvertrauen . Meine Eltern reagieren so als ob das nur ein pubertierendes Hirngespinst wäre . Ich kenne das Gefühl von pubertären Gefühlen und das hier ist etwas ganz anderes . Es ist so , dass ich früher ( was heißt früher bis vor einem halben Jahr ) überwiegend gute Tage hatte und manchmal schlechte . Jetzt ist es umgekehrt . Ich hoffe ich konnte meine Gedanken einigermaßen gut darstellen ,
Vielen Dank

Nuala Anwort von Nuala

Hallo du!

Ich kann sehr gut nachfühlen, was du beschreibst. Als Jugendliche ist es mir auch manchmal so ergangen. Und mit Sicherheit kennen das viele andere in deinem Alter (und darüber hinaus!) ebenfalls von sich selbst. Es ist einerseits recht typisch für die Pubertät, dass man den alltäglichen Grenzen und Regeln entfliehen möchte. Gerade wenn man ländlich wohnt und/oder wenig geboten ist. Auch können sich die Gefühle während der Pubertät verändern, das heißt, es können auch ungewohnte Regungen bei dir auftreten. Das ist total normal und kommt bei Erwachsenen ebenso vor. Natürlich ist es blöd, wenn dich deine Eltern da abspeisen und nicht genau hinhören. Denn du hast ja ein Anliegen, das nicht "gelöst" wird, indem es das Etikett "Pubertät" bekommt. Manche Dinge gehören zur Persönlichkeit, und die kommt in den Jugendjahren deutlich zum Vorschein und zeigt dann auch markante Züge.

Dass du gerade so niedergeschlagen bist, kann ein Zeichen dafür sein, dass dir wichtige Inhalte fehlen: In deiner Freizeit, in deinen zwischenmenschlichen Beziehungen, vielleicht auch in der Beziehung zu dir selbst. Was du auch zu allererst überprüfen solltest. Denn oft wollen wir etwas aus der Außenwelt, was wir uns aber zunächst einmal selbst geben müssten. Ich versuche es an einem Beispiel zu verdeutlichen: Nehmen wir dein Bedürfnis nach Abenteuer, Ausgelassenheit, Freiheit (so würde ich es jetzt mal umreißen). Du möchtest es mit anderen Menschen ausleben, was ja auch total nachvollziehbar ist. Aber vorher kannst du genau das auch auf eigene Faust machen: Ziehe los in Feld und Flur, nimm eine Kamera mit, gehe auf die Pirsch, mache interessante Schnappschüsse von Pflanzen und Tieren. Lausche einem plätschernden Bach, über den du dann wagemutig springst, oder lass dich nackt ins kalte Wasser plumsen. Tauche nach Steinen, trockne dich in der Sonne, schreibe ein Gedicht am Ende des Tages am Ufer. Gehe dann nach Hause mit all diesen intensiven Eindrücken. Weißt du, was ich meine? - Es beginnt immer in uns selbst, jeder Ausflug, jede Begegnung. Und das bekommen dann auch deine Mitmenschen mit und können da ggf. anknüpfen.

Genauso kannst du auch in deinem braven schulischen Umfeld ansetzen und etwas von deinen Impulsen teilen. Anstatt also deine Visionen hinunterzuschlucken, kannst du sie munter heraussprudeln lassen! Erzähle doch einmal in deiner Klasse von dem, was dich begeistert. Es muss ja nicht alles auf Gegenliebe stoßen, aber es einfach auszusprechen und damit eventuell auch jemanden erreicht und zum Nachdenken angeregt zu haben, ist es schon wert. Es gibt immer Leute, die sich verbergen und insgeheime Sehnsüchte mit sich herumtragen. Vielleicht würdest du genau so jemanden mit deinen Ansichten begeistern und mitreißen können! Außerdem kannst du die starren Strukturen ruhig hinterfragen und kritisch Stellung beziehen, wenn dir deine Schule zu konservativ ist. Ihr habt bestimmt einen Schülerinnenrat oder etwas Vergleichbares. Engagiere dich dort, bring dich ein! Auch eine Schülerinnenzeitung kann von deinen Ideen und deinem kreativen Potenzial profitieren. Gerade Gedichte und Kurzgeschichten sind etwas, was auch einige andere Jugendliche gerne in einem Heft lesen und sich davon berühren lassen.

Es ist aber auch unterschiedlich, wie Menschen ticken und das zeigt sich vermutlich in deinem Freundeskreis. Vielleicht ist dein "Ausbrech-Bedürfnis" deutlich stärker ausgeprägt als bei den Anderen. Vielleicht gehen sie aber auch nur anders damit um. Einige neigen dann möglicherweise eher zu Drogenkonsum oder zu Konflikten im Elternhaus. Oder sie haben interessante Hobbys, eine erste Liebesbeziehung und weitere erfüllende Sozialkontakte. All das ist aber eben nicht selbstverständlich und daher bin ich ganz bei dir und kann dein Empfinden nachspüren.

Damals bin ich dann zu den Pfadfindern gekommen, da war ich genauso alt wie du. Und das war eine super Entscheidung! Ich hatte auf einmal viele neue Leute, die ich nach und nach besser kennenlernen konnte. Dazu spannende Gruppenstunden, Reisen ins Ausland (unter anderem drei Wochen Wandern in der Bretagne, davon schwärme ich immer noch :)), viele Zelt-und Hauslager, lustige Momente und viel Raum für Kreativität und Entfaltung. Ich habe gelernt, wie man frei und souverän vor Gruppen spricht und etwas präsentiert, was dann auch für die Schule nützlich war. Ich habe meine eigene pädagogische Ader entdeckt und mit Kindern gearbeitet. Und dieses "Verrücktsein" habe ich sehr ausleben können, denn alle können sich dort in der Regel so zeigen, wie sie eben sind. Daher gebe ich dir mal den Tipp, beim BdP (Bund der Pfadfinderinnen und Pfadfinder) zu schauen, das könnte etwas für dich sein. Besonders in den alten Bundesländern sind sie vertreten und haben ihre Ortsgruppen teilweise auch auf dem Land. Es kann aber auch toll sein, einfach so Mitglied zu werden und dann bei den größeren Aktionen dabei zu sein. Dann müsstest du nicht unbedingt wöchentlich weite Strecken zu den Gruppenstunden fahren, könntest aber trotzdem immer mal wieder dabei sein. Hier ist die bundesweite Internetseite: https://www.pfadfinden.de/pfadfinden/
Selbstverständlich gibt es noch viele andere Jugendgruppen und -organisationen! Sei es von Seiten der Kirche, des Umweltschutzes, spezielle Ferien - und Reiseprogramme und viele mehr. Da kannst du ja auch lose einmal an einer Ferienfreizeit teilnehmen. Oder du schaust nach Jugendzentren, VHS-Kursen für Jugendliche etc. Auch Brief -und Mailfreundschaften könnten etwas für dich sein, gerade auch mit ausländischen Jugendlichen. So könntest du gleich noch deine Sprachkenntnisse verbessern. Der Clou kann darin bestehen, eigene Interessen mit anderen Menschen zu kombinieren, sodass man gleich mehrere Befriedigungen erhält. Bestimmt gibt es da noch die ein- oder andere Freizeitbeschäftigung, welche du noch ausprobieren könntest. Dafür braucht glücklicherweise auch nicht unbedingt die große weite Welt. Oder gründe deine eigene Freizeitgruppe, in der ihr z.B. hemmungslos tanzt, eigene Unternehmungen und Reisen plant und somit Gleichgesinnte zusammenbringt.

Ich wünsche dir ganz viel Freude am Entdecken deiner inneren Reichtümer sowie deiner Umgebung - mit neuem Blick aus deinen wachen Augen.

Sei lieb gegrüßt!
Nuala