Problem von Steffi - 42 Jahre

Neffe tut mir unendlich leid (Schwester alkoholabhängig etc.)

Hallo zusammen,

ich bin gerade unendlich bedrückt und traurig.

Ich habe eine ältere Schwester, die schon mit 15 geraucht, ihren ersten Alkohol getrunken und durch die falschen Freunde auch schon sehr früh an Drogen und illegal an Medikamente geraten ist, von denen sie - zum Teil bis heute - nicht mehr losgekommen ist.
Sie hatte auch immer dieselbe Art von Freund: Drogis, unangenehm verruchte Typen. Da sie ein furchtbar devoter Mensch ist glaubt(e) sie scheinbar immer, es wäre schon okay, wenn man sie wie Dreck behandelt.
Als sie mal wieder auf Entzug war, hat sie dort ihren späteren Ehemann kennen gelernt - beste Voraussetzungen...

Ziemlich spät hat sie dann irgendwann bemerkt, dass sie schwanger war - und das, während sie munter geraucht hat (auch noch, nachdem sie von ihrer Schwangerschaft wusste!) und von Medikamenten abhängig war.
Sie hat den behandelnden Ärzten immerhin alle Karten offen auf den Tisch gelegt und mein Neffe, der wie durch ein Wunder gesund auf die Welt kam, musste entsprechend länger im KH bleiben, weil er ja selbst auch einen "Entzug" durchmachen musste.
Letztlich lebte der Kleine die ersten beiden Monate bei Pflegeeltern, dann nahm ihn meine Mutter für etwa ein halbes Jahr zu sich während meine Schwester und ihr Mann diverse Maßnahmen / Entzüge und sonst was absolvieren mussten, bevor sie wieder annährend an ihre "Rechte" an dem Kind kamen.

Als es soweit war, sind sie umgezogen, des Jobs meines Schwagers wegen. Diesen hat er dann aber irgendwann wieder verloren und der Absturz ging von vorne los, bis das Jugendamt wieder darauf aufmerksam wurde - und mein Neffe fünf Jahre lang in einer Wohngruppe verbrachte.

Vor zwei Jahren starb mein Schwager dann ganz plötzlich. Meine Schwester schien alles daran zu setzen, jetzt wieder die Zügel in die Hand zu nehmen und ihr Leben in den Griff zu bekommen. Vor einem Jahr hieß es dann plötzlich, ihr wird ihr Sohn (mittlerweile 15) wieder anvertraut.
Kurz darauf zogen Mutter und Sohn vorübergehend mit in das Haus / die Wohnung meiner Eltern, wo sie jetzt seit einem Jahr leben. Ich lebe mit meinem Mann in der Einlieger-Wohnung darunter und bekomme täglich mit, wie viel Stress das insbesondere für meine Mutter bedeutet. Meine Schwester muss immer noch mehrmals wöchentlich morgens zum Arzt, einen Methadon-Ersatz (?) nehmen, hat zwischenzeitlich wohl nochmal einen Alkohol-Entzug gemacht, aber es ist völlig offensichtlich, dass sie immer noch weiterhin geheim konsumiert -was auch immer. Vor einigen Jahren sind ihre Lungen aufgrund der extremen Raucherei kollabiert und sie lag Wochen lang im Koma - damals war mein Neffe noch im Wohnheim und wir einigten uns darauf, ihm nichts davon zu erzählen.

Heute war ich mit den beiden bei ihrer neuen Wohnung, zur Schlüsselübergabe. Der Kleine freute sich über sein neues Zimmer, wir schmiedeten Einrichtungspläne (die finanziell, mal wieder, meine Eltern hauptsächlich übernehmen) und fuhren anschließend ins Möbelhaus, um erste Ideen zu sammeln.

Als ich in einem ruhigen Moment allein mit meinem Neffen bei der Kasse stand, zeigte er auf sein Handy und sagte: "Eigentlich schuldet mir die Mama noch 50 Euro! Die hat gestern ohne zu Fragen meine Bankkarte genommen und damit Sachen bezahlt." Da wusste ich erst nicht, was ich sagen sollte. Dass sie ihm schonmal Bargeld geklaut hat, wusste ich, aber das hier ist echt "the next step." Und das, während sie sich immer damit brüstet, dass sie ihm ja seine Halbwaisen-Rente "voll überlässt."
Als sie wenig später zu uns stieß und ich sie fragte, wieso sie auf das Konto ihres Sohnes zugreift kam nach einer kurzen Pause, in der sie sich sichtlich ertappt fühlte ein: "Das ist eine Sache zwischen ..(Sohn) und mir."

Seit diesem Moment ist der Tag echt für mich gelaufen. Ich bin so traurig, so wütend, weiß nicht, was ich tun soll, ja, überhaupt tun KANN, um die Situation für meinen Neffen irgendwie zu verbessern. Ich habe jetzt schon Angst, dass es nur eine Frage der Zeit sein wird, bis er sie (wieder?) betrunken auf dem Sofa vorfindet.
Scheinbar ist er sich selbst auch noch unsicher, ob das wirklich seine Richtigkeit hat, dass seine Mutter auf sein Konto zugreift!

Ich bin so unendlich enttäuscht und sauer auf meine Schwester. Ich weiß, dass meine Möglichkeiten beschränkt sind, etwas an der Situation zu ändern. Ich werde meinem Neffen raten, seine PIN zu ändern, weil seine Mutter einfach nichts in seinem Konto zu suchen hat. Andererseits habe ich Hemmungen, ihm "zu viel" zu erzählen, ich will ihn nicht verunsichern, verängstigen... Ich weiß auch nicht, ob ich mit meinen Eltern darüber sprechen soll. Die denken sich wahrscheinlich schon, dass sowas ähnliches abgeht und verzweifeln ohnehin schon an der ganzen Situation...

Dann denke ich mir wiederum, dass ich in irgendeiner Art dringend emotionalen Abstand zu dieser ganzen Geschichte gewinnen muss, um nicht mein eigenes Leben zu zerstören.
Es ist so verzwickt. Mein Mann und ich fühlen uns generell in unserer Wohnung wohl, meine Eltern sind absolut diskret und lassen uns alle Freiräume, nichtsdestotrotz würden wir manchmal gerne einfach mal in eine andere Wohnung ziehen - das will ich meinen Eltern aber nicht zutrauen, weil dann mit unserer fehlenden Miete ein großes finanzielles Loch für sie entsteht...

Was würdet ihr mir raten, was ich tun sollte, welche Denkweise ich mir aneignen sollte?

Ich danke euch im voraus ganz herzlich für eure Hilfe.

Liebe Grüße
Steffi

Lan Anwort von Lan

Liebe Steffi,

ich danke dir, dass du uns geschrieben hast und uns dein Vertrauen schenkst.

Ich habe dir einige informative Beiträge verlinkt, lies sie dir gern durch:
https://www.dasgehirn.info/krankheiten/sucht/sucht-als-familienkrankheit-ein-leitfaden-fuer-angehoerige?gclid=EAIaIQobChMIpL-a_q6U_AIVxIbVCh2vTQKQEAAYASAAEgJJxfD_BwE
https://www.aok.de/pk/magazin/koerper-psyche/sucht/tipps-fuer-angehoerige-alkoholkranker/
https://www.beratung.help/a/tipps-fuer-angehoerige-von-alkoholikern
https://www.gesundheitsinformation.de/was-kann-ich-als-angehoeriger-tun.html
https://www.stiftung-gesundheitswissen.de/wissen/risikofaktor-alkohol/angehoerige

Ich lege dir ans Herz:
Suche dir Unterstützung ob professioneller Art oder auch nicht - sei es Selbsthilfegruppe, Beratungsstellen, das Jugendamt oder auch einen Therapeuten. Bei einer Beratungsstelle kannst du dich aufklären lassen, welche Schritte du gehen könntest, wie du dich verhalten kannst und deinen Neffen schützen kannst.
Du solltest dich so gut wie möglich entlasten und dir so viel Hilfe wie nötig suchen. Du musst das nicht alles allein packen.

Hier findest du online Beratungsstellen in deiner Nähe:
https://www.dajeb.de/beratungsfuehrer-online/beratung-in-ihrer-naehe

Suchtberatungsstellen findest du unter anderem im Suchthilfeverzeichnis der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen:
https://www.dhs.de/service/suchthilfeverzeichnis

Ich lege dir außerdem auch die Sucht- und Drogen-Hotline ans Herz: Du erreichst sie unter der Nummer 01806 313 031 (24 Stunden erreichbar, 20–60 Cent pro Anruf)

Ganz wichtig: Du musst unbedingt an dich, deine Grenzen und dein Wohlbefinden denken. Es ist total okay und auch notwendig, dass du das tust, um dich selbst zu schützen.
Ich kann verstehen, dass du deiner Schwester helfen und deinen Neffen vor weiteren Problemen bewahren willst. Aber wie du schon schreibst: Es liegt in der Tat nicht in deiner Verantwortung, da massiv einzugreifen oder etwas verändern zu wollen. Du kannst aber unterstützend und beratend zur Seite stehen - so viel, wie es für dich im Rahmen ist.
Darum nimm dir genug Zeit und Raum für dich, davon Abstand zu gewinnen. Verschaffe dir Möglichkeiten, dich zu entspannen, das zu vergessen, dich abzulenken. Tue dir selbst Gutes mit Dingen, die dir Freude machen.

Deine Unsicherheit kann ich nachvollziehen. Du willst deinen Neffen so gut wie es geht schützen. Aus eigener Erfahrung mit einem alkohlkranken Familienmitglied weiß ich, dass es schwer ist, aber auch, dass Kinder bzw. Jugendliche in dem Alter einfach auch spüren und erkennen, was los ist. Ich denke, dass dein Neffe die Wahrheit wissen sollte, aber auf eine sanfte Art und Weise.

In der Kommunikation mit deiner Schwester gilt: Bewahre Ruhe, zeigt Geduld, führe Gespräche sachlich und ruhig und verwende vor allem die "Ich"-Form. Vermeide verbale Angriffe und Schuldzuweisungen. Auch wenn es schwer ist: Versuche, Verständnis und Einfühlungsvermögen für die Situation deiner Schwester zu zeigen.

Spreche auf jeden Fall mit deinen Eltern, deinem Mann und guten Freunden darüber. Das sind Sorgen und Gefühle, mit denen du allein nicht klarkommen musst, verdränge das nicht.

Was das Thema Auszug und emotionalen Abstand betrifft: Da solltest du ganz in dich hineinhorchen. Was tut dir gut? Was brauchst du? Es ist verständlich, dass du ungern ausziehen willst, weil du an die finanzielle Lage deiner Eltern denkst. Aber das muss kein Grund sein, zwingend zu bleiben. Denke da unbedingt an dich und dein Wohlbefinden. Wenn ihr lieber ausziehen wollt, weil ihr diesen Abstand braucht, solltet ihr das tun und mit deinen Eltern sprechen. Sie werden das verstehen. Außerdem gäbe es sicherlich noch andere Möglichkeiten, wie deine Eltern das finanziell ausgleichen können, beispielsweise indem sie die Wohnung untervermieten. Es gibt immer Möglichkeiten.

Ich kann verstehen, dass du gerne helfen willst und vor allem deinen Neffen eine gute Zukunft ermöglichen willst. Aber wie du schon sagst: Du hast auch nur beschränkt Möglichkeiten, etwas zu unternehmen. Aber es
gibt trotzdem einiges, was du machen kannst. Du kannst das Verhalten deiner Schwester nicht ändern, aber du kannst ihr und deiner Familie beistehen, sie unterstützen, mit ihrem Problem besser umzugehen. Und du kannst und solltest für dich selbst Verantwortung übernehmen, das tun, was für dich und dein Wohlbefinden wichtig ist., damit es dir auch besser geht.

Ich hoffe, dass dir meine Anregungen weiterhelfen konnten.

Ich wünsche dir alles Gute, ganz viel Kraft und Liebe!

Viele Grüße,
Lan