Problem von Anonym - 20 Jahre

Nordliebe

Ich bin am Ende.
Doch das Beste wird sein, mit der gesamten Geschichte ganz von vorne anzufangen. Im Juni 2004 bekam eine Schulkameradin Besuch von einer finnischen Austauschschülerin, zur Zeit, als ich noch eine Freundin hatte. Doch als ich die Finnin das erste Mal sah, verspürte ich eine unglaublich starke Ausstrahlung ihrerseits. Es war großes Glück, dass sie drei Wochen darauf auch mit auf unsere Stufenfahrt fuhr. An einem lauen Juniabend, als die Sonne die Oberstdorfer Alpen blutrot färbte, verliebte ich mich, wie ich es nicht mehr beschreiben kann. Aber es geschah nichts. Als wir nach Hause fuhren und ich mich von ihr verabschiedete, befürchtete ich, sie mein Lebtag niewieder zu sehen. Abends flehte ich Gott um ein Zeichen an, wenn diese flüchtige Bekanntschaft dort eine höhere Bedeutung haben möge. Eine Stunde später machte meine damalige Freundin mit mir telefonisch Schluss - ohne etwas von der Finnin gewusst zu haben. Als teilweise doch gläubiger, aber vor allen Dingen in diesem Moment emotional aufgewühlter Mensch, sah ich dies als ein Zeichen Gottes. Noch heute kann ich mir diesen Zufall nicht erklären, schließlich war es im Laufe der 9monatigen Beziehung zu keinem ersthaften Zerwürfnis gekommen.
Es verging eine lange Zeit, ohne dass wir voneinander hörten. Im Dezember 2004 erhielt ich eine Weihnachtskarte, und eine Einladung, sie doch auch einmal in Finnland besuchen zu kommen. In wieweit dies nun ernsthaftig oder nicht gemeint war, kann ich heute nicht mehr rekonstruieren.
Jedenfallst beschlossen meine Schulkameradin und ich, "unsere" Finnin im April 2005 für 2 Wochen zu besuchen. Ich zählte die Tage bis zum Abflug, und endlich war die große Stunde gekommen, als ich in S... aus dem Zug stieg, und sie uns des nachts um 0 Uhr am Bahnhof abholte.
Schnell lebte ich mich in ihrer Familie ein. Ich fühlte mich gleich wie zuhause, es war eine wunderschöne Geborgenheit, auch wenn ihre 2 kleineren Brüder anfänglich etwas schüchtern waren. Auch ihre Eltern waren mir von Anfang an sehr sympathisch. Wir unternahmen viel in den 2 Wochen, waren fast jeden Tag Ski fahren oder Eisangeln. auch durfte ich mit ihr im Schulorchester spielen. Die Zeit verflog, und da ich noch meine Verwandten in Südfinnland besuchen wollte, musste ich ihr Haus schon nach 10 Tagen verlassen. Am Vorabend saßen wir zwei lange beieinander, und ich gestand ihr meine Liebe, die ich bis dato schon seit 9 Monaten hegte. Ich erzählte von jenem seltsamen Zeichen des 26. Juni 2004 und von meiner inneren Aufgewühltheit, die es in mir hervorgerufen hatte.
Die Nacht war lang - und voller Tränen. Sie weinte, weil sie Angst hatte, mich zu verletzen, weil sie wusste, mir ihre Liebe nicht erwiedern zu können, weinte über das große Unglück einer solch weiten Distanz.
Im Laufe dieser Nacht fanden wir beiden soviele Gemeinsamkeiten heraus, wie wir es niemals für möglich gehalten hätten, sowohl autobiographisch, wie interessensmäßig und zukunftsträumend. Unsere Lebenseinstellungen schienen sich so perfekt zu gleichen, es hätte keine bessere Verbindung geben können.
Als ich am Morgen abreiste, waren ihre blauen Augen wieder voller Tranen.
Es sollte bis zum Widersehen nur kurz dauern. Schon zwei Tage später sollte sie nach Helsinki kommen, wir wollten eine Stadtbesichtigung machen und dann bei einer weiteren ehemaligen Austauschschülerin in Espoo, ca. 30 km westlich Helsinki, übernachten. Während der Tour sah sie mich schon mehrere Male sehr seltsam an. Abends lagen wir dann stundenlang nur nebeneinander und umarmten uns - sonst nichts - und es war doch so unbeschreiblich schön.
Dann kam der schönste Tag meines Lebens. Nach 2 Stunden Schlaf fuhren wir von Helsinki mit der Fähre nach Tallinn. Während der Schiffahrt, rückte sie immer näher an mich heran, und schlief an meiner Schulter ein. Durch Tallinn, es war ein furchtbar kalter Apriltag, liefen wir Hand in Hand, und es hätte nicht schöner sein können, denn damals lebte mein Herz.
Wir aßen in einem guten (und sehr günstigen) Restaurant zu Mittag. Nacht dem Essen stand meine Mitschülerin auf, um zur Toilette zu gehen. Als wir uns unbeobachtet fühlten, wollte ich sie umarmen, und erhielt einen Kuss, den ich unbeschrieben lassen will, weil alles, was ihn in Worte fassen würde, nur ein trauriger Abklatsch und eine schnöde Anmaßung werden würde. Und es war ihr erster. Die Nacht in Espoo war die schönste meines Lebens, und es wäre Erfüllung gewesen, nach dieser Nacht nicht mehr weiterzuleben. Man sollte aufhören, wenn es am Schönsten ist... Wir hatten keine 12 Stunden mehr bis zum Abflug und doch war es, als hätte eine überirdische Macht alle Zeit angehalten. NIemals zuvor war eine Nacht so lang und so reich an Gefühlen. Wir sprachen nichts. Und ein Blick war doch mehr als 1000 Worte.
Am Morgen danach fühlten wir uns elend. Zitternd lagen wir nebeneinander, klamm die Hand des anderen umfasst. Nur wenige Stunden noch bis zur Trennung. Dass ich wieder abreiste, war der größte Fehler meines Lebens, den ich mir heute noch nicht verzeihen kann. Als ich am Bahnhof stand, um in den Zug nach Tampere zu steigen, blickte ich ein letztes Mal in ein Paar so blaue Augen, die von göttlich liebender Kraft erfüllt waren. Ein letzter Kuss, eine letze Träne auf der Wange, dann trennten wir uns. Wäre ich nur geblieben!
Anfänglich schrieben wir uns täglich, dann wöchentlich. Ende Mai ein Brief, seltsamerweise auf Englisch (sie spricht perfekt Deutsch): "I know that I don't love you. Please don't contact me the next six weeks." "Erinnerung hielt mich mit kindlichem Gefühle vom letzten, ernsten Schritt zurück." Ich trank den Giftbecher nicht. Hätte ich nur...
Ende Juli 2005 besuchte sie meine Schulkameradin und ihre Familie. Auch zu uns kam sie für einige Tage. Meine Familie, besonders meine Cousins und Großeltern, schlossen sie sofort in ihre Herzen. Doch zwischen uns geschah nichts, wir redeten, und schwiegen doch. In der ersten Augustwoche flog sie wieder ins gelobte Land.
Seit einem halben Jahr stand fest, dass ich Mitte August zu einem Studienaufenthalt nach Argentinien gehen sollte. War ich anfänglich sehr begeistert, so wollte ich nun nicht mehr. 8 Tage vor Abflug stornierte ich und buchte nach Finnland - ich musste sie wiedersehen. Sie hatte mir geschrieben, dass sie mich unsagbar vermisste.
Es folgen 4 Wochen, 4 herrliche Wochen, die viel zu schnell vergingen. Mein finnischer Wortschaftz wuchs um über 400 Wörter an, mittlerweile verstehe und spreche ich Finnisch wie ein Englischschüler nach dem 4. Jahr. Ich fällte Bäume, angelte, jagte mit ihren Brüdern Enten, spielte im Orchester, kochte für die Familie. Sie gestand, dass sie sich in meinen Armen seltsam geborgen fühlte, wie sonst noch nie. Liebe sei es aber trotzallem noch nicht. Wärend die Tage aufregend und erlebnisreich waren (Beerenplücken, schwimmen, Rafting) und die Abende heimelig unter Nordlich und Sternschnuppen, waren die Nächte voller Wärme und Zuneigung. Wie ein kleines Kind lag sie in meinen Armen, und bat darum, dass ich ihr ein Schlaflied singen möge. Sie streichelte mich am Rücken, und ich fuhr ihr über ihr langes, blondes Haar. Nichts weiter, nur diese pure Nähe war es, die uns beide so glücklich machte. Wir träumten gemeinsam von einer herrlichen Zukunft, dachten uns Namen für unsere 5 Kinder aus, die nicht einmal gezeugt waren. Sahen Welten für uns entstehen, Häuser wachen, uns als großeltern grauhaarig im Schaukelstuhl. Ich wollte nach Finnland ziehen, ein Auslandssemester dort nehmen, famulieren, das PJ ableisten. Ich wollte sie heiraten. Und es war schön, wie es nicht schöner sein konnte. In der letzen Nacht flüsterte sie "Schlafe nicht, die Zeit ist zu kostebar, um zu schlafen!" Auch diesmal war es ein Abschied unter Tränen. Ohne Küsse.
Wochen danach erreichte mich ein Brief. "Vielleicht ist es besser, wenn jeder sein eigenes Leben lebt. Ich möchte frei sein, und wenn du es auch wirklich willst, kannst du es auch sein. Die Gedanken an dich machen mich oft traurig, darum werde ich dir etwa einemal im Monat schreiben."
Und nun? Ich studiere. Und träume von einer Zukunft, die möglicherweise niemals wahr werden wird. Es kann keine andere nach IHR mehr kommen, denn so wie ich jetzt liebe, werde ich im Leben nicht mehr lieben können. An ihr hängt ein Traum, ein Lebenstraum. Wer weiß, wann wir uns wiedersehen - ob - überhaupt. Ich halte mich an Gedankenkonstrukten, und verliere völlig die Realität. War dies alles gar nicht war? ich brauche sie, ohne sie kann ich nicht leben, denn nach ihr gibt es nichts, und ohne sie ist es unerträglich. Was, wenn es niemals in Erfüllung geht?
Gegrüßet seist du mir, du glänzende Phiole!

Ich bin am Ende....

Anwort von Sabine

Hallo!

Soll ich Dir was verraten? Ich habe Deine Mail regelrecht aufgesogen und war hin und weg, wie Du Deine Gefühle und die Erlebnisse mit Deiner Freundin geschildert hast. Du bist wirklich über beide Ohren in sie verliebt oder ein verdammt guter Schriftsteller. Ich konnte regelrecht fühlen wie sehr Du sie liebst.
Ich weiß nicht, was ich von ihr halten soll. Sie scheint überglücklich mit Dir zu sein, wenn Du in ihrer Nähe bist und sie scheint ihre Zweifel wieder siegen zu lassen, wenn Du abgreist bist.
Ich finde, dass Du diesen Punkt vieleicht mit ihr klären solltest. Ihr seid jetzt schon so weit und tief gefühlsmäßig gefallen, dass Dir diese Frage erlaubt wäre, ob sie sich vorstellen könnte immer mit Dir zusammen zu sein. Du könntest Deinen beruflichen Werdegang aufgrund Deiner Kenntnisse locker nach Finnland verlegen, wenn sie nicht nach Deutschland kommen mag. Ich bin mir sicher, dass es für euch einen Weg geben wird, wenn auch sie den Mut dazu hat.
Es wäre interessant herauszubekommen, was sie stets ausbremst, sobald Du nicht mehr in ihrer Nähe bist. Ich persönlich würde mich auf die Socken machen und versuche zu erfahren, warum sie so denkt und fühlt. Ich würde nicht locker lassen.
Leider kenne ich sie nicht und kann sie nicht einschätzen. Ich kann Dir nur schreiben, was ich machen würde. Doch aufgeben würde ich nicht und am Ende bist Du noch lange nicht.
Ich wünsche Dir alles Gute und

lieben Gruß
Sabine