Problem von Anonym - 25 Jahre

Selbstbewusstsein

Liebes Kummerkasten-Team,

ich brauche Ihr Hilfe und Rat, weil ich mangels Selbstbewusstsein nicht weiter weiß.
Ich versuche daher meine komplexen Probleme, möglichst einfach darzustellen.
Ich muss sagen, dass ich momentan wegen meiner Examensarbeit schon eine Grundbelastung habe, die ich nicht ändern kann ? ich nehme diese Sache sehr ernst, da meine Berufschancen ohne hin mit meinem Studium gering sind.

Ich kann auch mit niemand darüber Reden?
Meine Mutter bemerkte schon öfters eine ?Grundtraurigkeit? bei mir, ich solle sagen was los sei ? aber so ?pathetisch? bin ich nicht drauf. Meine Mutter ist kein schlechter Mensch, aber eine andere Generation und sehr Autoritär. Ihre Freundin ? von einem ähnlichen Schlag ? beherrscht Ihren 28-jährigen Sohn dermaßen, dass ich Angst habe in eine ähnliche Abhängigkeit zu gelangen, finanziell bin ich noch nicht einmal unabhängig, wegen des Studiums.

Freunde, Freunde habe wenige ? wenn ich sie denn überhaupt habe. Ein Mädel, sieht mich als große Schwester, sie ist lieb, intelligent aber zu naiv ? mit Ihr kann ich nicht reden. Meine so genannte ?beste Freundin? ? interessiert sich nicht wirklich für mich. Ich unterstütze sie immer, Frage nach Ihrem Wohlbefinden ? versuch sie aufzumuntern ? ich bin Ihr Kummerkasten. Fragt sie mich, wenn es denn vorkommt, antworte ich aber auch mit einem halbherzigen ?gut? ? so mies es mir geht. Wir telefonieren selten (sie studiert woanders), wenn dann geht es von mir aus. Sie antwortet auch nicht, wen ich auf den AB rede ? irgendwann kommt dann mal ?ne Entschuldigung per E-Mail. Meine Kommilitonen, sind zwar nett, aber sie möchte ich nicht mit meinen teils pubertären Problemen belasten, bezüglich der beruflichen Perspektiven sind sie eher demotivierend ? wir sitzen alle im gleichen Boot.
Manchmal frage ich mich, ob mich überhaupt jemand vermissen würde, sei ich nicht mehr da. Ich weiß, dass klingt bedenklich, aber ich bin zu ?geizig? um Geld für eine Psychotherapie zu opfern. Außerdem, bin ich ein ?Kopfmensch? und würde wohl nichts Unüberlegtes tun.

Dieser ?Geiz? richtet sich nur gegen mich selbst ? um mich für bestimmte Dinge zu sanktionieren, teilweise sogar gerechtfertigt, ich hatte mit dem Auto meiner Eltern einen größeren Blechschaden ? selbstverschuldet. Meine Familie macht mir überhaupt keinen Druck, sie übernehmen die Kosten, etc. aber ich kann mir selbst nicht verzeihen.

Schon als Kind war ich immer Einzelgänger, das hat mit meinen guten-schlechten Eigenschaften zu tun. Als Einzelkind bekam ich natürlich eine häusliche Aufmerksamkeit, die den Neid anderer weckte, zudem bin ich immer noch grund-ehrlich (auch zum eigenen Nachteil), verständnisvoll gegenüber jedem (ich konnte die strenge der Lehrer nachvollziehen, da ich Missstände erkannte). Mein geringes Selbstbewusstsein wurde durch Übergewicht noch verstärkt. Ich hatte nie eine Beziehung oder ähnliches.
Das ist der nächste Punkt über den ich mit niemanden reden kann ? eigentlich leben alle meine ?Freunde? in guten Partnerschaften? das einzige was man dann hört ist die Topf-und-Deckel-Floskel ? man nimmt mich nicht ernst.

Nachdem ich mein Gewicht auf zwei Drittel reduziert habe, habe ich sogar einen Verehrer, mein Squash-Partner. Ich sollte glücklich sein ? er ist ein sehr netter Mensch, aber ich bin nicht verliebt ? ich schätze ihn. Meine Beziehung zu ihm, ist daher sehr kompliziert. Ich spiele mit ihm und bin Gleichzeitig von ihm in gewisser Weise abhängig.
Ich habe wirklich ein schlechtes Gewissen deswegen, da ich nie eine Beziehung mit ihm eingehen würde, aber ich benutze/missbrauche sein werben um mich, um ich selbst besser zu fühlen, ich . Zum ersten Mal fühle ich mich begehrenswert! Das gibt mir plötzlich unglaubliche Selbstbestätigung.
Im selben Moment, fühle ich mich regelrecht wertlos sobald er auf eine SMS nicht antwortet.

Natürlich lege ich jedes Wort auf die Goldwaage in jeder Beziehung. Da ich mein Licht wohl, realistisch gesehen, unter den Scheffel stelle.

Was sollte ich tun? Solche trübsinnigen Gedanken kommen immer am Wochenende, innerhalb der Woche bin ich auch wegen des Pendelns zum ?Arbeitsplatz? ausgelastet. Am Wochenende sitze ich immer alleine zu Hause und esse ? was mich natürlich noch tiefer in diese ?Depression? rein zieht ? ein Teufelskreis.

Wie sehen sie meine Situation ? neutral. Können Sie mir Hinweise geben, wie ich mich Verhalten soll? Ich überlege, ob ich zu diesen so genannten Freunden den Kontakt abrechen soll. Sollte ich mir einen anderen Squash-Partner zulegen.

Selbst in diesem Moment fühle ich mich unglaublich egoistisch, so viele Menschen habe wichtigere Probleme ? meine Probleme sind doch purer Hohn, in den Augen derer, die existenziell bedroht sind. Ich kann mir den Luxus-Leisten über ?Nichtigkeiten? zu weinen, während Leute, mit denen ich im afrikanischen Ausland zusammenlebte nicht wissen, wie sie ihre Krankenversicherung vom geringen Einkommen bezahlen.

Liebe Grüße und Danke!

Anwort von Michaela

Hallo,

das, was du beschreibst, benennst du im ersten Satz gleich selbst: Mangelndes Selbstbewusstsein. Dabei handelt es sich nicht um "pubertäre" Probleme, sondern um etwas, das dein Leben entscheidend beeinflusst. Und dass du in der Lage bist, dein Problem beim Namen zu benennen und deine Probleme verständlich darzulegen, ist eine beachtliche Leistung, die nicht so einfach zu erbringen ist.

Die von dir geschilderte "Grundtraurigkeit" kann, muss aber kein Hinweis auf ein dauerhaftes Problem sein, das behandelt werden muss, was aber nur ein Arzt wirklich feststellen kann. Lass das auf alle Fälle nachprüfen, um hier Sicherheit zu haben. Falls tatsächlich eine Therapie angemessen sein sollte, so werden Gesprächs- und Verhaltenstherapien (noch) von den Krankenkassen übernommen. Auch wenn du ein "Kopfmensch" bist, gibt es Mittel und Wege, diese Grundtraurigkeit in den Griff zu kommen (und das muss nicht unbedingt eine der genannten Therapiearten sein). Es gibt auch Selbsthilfegruppen, z. B. EA, die "Emotions Anonymous", ein Ableger der Anonymen Alkoholiker. Infos darüber kannst du beim Ansprechpartner der AA deiner Stadt bekommen, und natürlich auch über das Internet.

Wenn dir das alles zu heftig ist, dann überlege einmal selbst, was du jemandem raten würdest, der mit diesen Problemen zu dir kommt (Antworten wie: Du spinnst! oder Reiß dich zusammen! sind verboten :-) Viele Kopfmenschen greifen auch auf erstaunlich kreative Möglichkeiten zurück, um ihr Dilemma zu bewältigen, z. B. leben sie sich in einem Hobby aus, schließen sich Rollenspielgruppen an, malen, schreiben... Am wirkungsvollsten ist es, wenn sie ihr Werk nicht in der Schublade verschwinden lassen, sondern es der Welt wie auch immer präsentieren. Z. B. gibt es sehr viele Schreibforen im Internet, wo man durch die Masse der registrierten Mitglieder zwar nicht hervorsticht, aber auch nicht untergeht und somit einen gewissen Schutz genießt.

Was deine beruflichen Aussichten angeht, kann ich dir leider nichts raten, außer dass die erste Ausbildung nicht unbedingt die letzte sein muss und dass man auf allem aufbauen kann. Ich habe auch zwei Ausbildungen absolviert und kann die Kenntnisse miteinander verbinden.

Freunde: Wenn du definitiv keinen Nutzen aus der Freundschaft ziehst, lass sie sausen. Nicht mehr und nicht weniger. Freundschaften können leider auch dann vergehen, wenn man das nie beabsichtigt hat. Sollte es dir wichtig sein, kannst du die Freundschaft zu deiner Freundin natürlich auch wieder intensivieren - es liegt an dir.

Dein Squash-Partner: Vielleicht hilft es, wenn ihr mal etwas anderes unternehmt als zu squashen, um euch besser kennen zu lernen. Ob du dann mit ihm zusammen sein willst oder nicht, kannst du dann in Ruhe entscheiden. Dann könnte sich auch deine Panik gelegt haben, wenn er sich mal auf eine SMS nicht meldet. Es ist verständlich, dass man nicht allein sein möchte, aber deshalb sollte man sich nciht auf jeden vorhandenen Partner stürzen, den man ausmachen kann. Wäge ab, auch du kannst wählen.

Ich weiß, dass ich mit meinen Antworten deine Fragen nicht mal einigermaßen beantworten konnte, weil sie einfach zu komplex sind, wie du schon geschrieben hast. Aber ich denke, dass du das Beste daraus machen wirst. Lass mich wissen, wie es dir ergangen ist!

Viele Grüße,

Michaela