Problem von Anonym - 18 Jahre

Ich komme nicht mehr weiter (5)

http://mein-kummerkasten.de/42126/Ich-komme-nicht-mehr-weiter-4.html

Ich bins mal wieder, ich hoffe ich störe hier nicht schon, immerhin siehts das ja schon fast nach Roman aus, was ich schreibe und als Antwort bekomme.

Ich gehe auch mal der Reihe nach vor:

Ja, sie hält mir den Rücken frei. Sportlehrer (der eigentlich ein "ganz lieber Mensch" ist) hat mir offiziell freigegeben, nachdem meine Lehrerin mit ihm geredet hatte. Sollte mein Termin, der ja innherhalb ihrer Stunden liegt, länger dauern, redet sie mit der Lehrerin, die ich danach im Unterricht habe. So eine gute Seele von Frau ist mir noch nicht über den Weg gelaufen.

Was das Geschenk angeht (jetzt springe ich leider etwas, passt gerade gut):
Da wäre ich mir mal nicht so sicher, dass mir etwas einfällt. Kreativität schön und gut, aber mein Kopf ist da so leer. Ich will etwas bedeutsames und wirklich tolles, mir fällt nur absolut nichts ein! Was hattest du denn für eine Idee, wenn ich fragen darf?
Da sagtest Worte und Kreativität: Meinst du Gedichte?

Ach ja: Danke für das Lob :-)

Das Beispiel mit dem Asthmatiker ist gut! Bilder sind immer toll, um Sachverhalte zu erklären. Ich kannte das bis jetzt wirklich nur andersrum ("Seele->Körper").

Meine Freundin:
Eigentlich war alles so:
Eines Tages kam meine Mutter hoch, klopfte an meine Tür und sagte: "Ich habe gerade Frau S. (ihre Mutter) bei Edeka getroffen, ***** ist jetzt in der Psychiatrie, weil sie versucht hat, sich umzubringen!".
Darauf habe ich ihr eine SMS geschrieben und nicht wirklich damit gerechnet eine Antwort zu erhalten. Dennoch kam am nächsten Tag: "Sei nicht schockiert, ich bin zur Zeit in der Klapse, ruf mich doch mal an (Nummer)!".
Geschrieben, getan. Ich telefonierte eine Weile mit ihr, sie "beichtete" mir den Suizidversuch, von dem ich längst wusste, und ich machte den Vorschlag sie zu treffen. Am Wochenende fuhr mein Vater mich dann in die Psychiatrie und ich traf sie - völlig verändert. Haare kurz, dünner geworden, diverse Schnitte.
Wir gingen spazieren, ich erfuhr, dass sie zwei Wochen lang auf der geschlossenen Station war und nun auf die offene verlegt worden war.
Sie zeigte mir ihr Zimmer, ich lernte andere Jugendliche dort "kennen" und verbrachte so ca. 3 oder 4h dort. Ich sah diverse Räume mit Bällen, Sportgeräten und therapeutischem "Spielzeug" (mir fiel kein anderer Begriff ein). Als ich sie nach dem Grund ihres Suizidversuches fragte, sagte sie nur "Weiß ich ja selber nicht!".
Dann hat sie es mir schließlich vor ca. einem Monat erzählt. Ich weiß nun, dass sie mindestens zweimal vergewaltigt wurde. Keine Ahnung von wem und ebenfalls keine Ahnung wie oft noch.
Jedesmal, wenn ich nun ein Lied höre und sie dabei ist, denke ich, dass ich darauf aufpassen muss, was in dem Lied gesungen wird, weil ich unter keinen Umstände will, dass sie daran erinnert wird. Aber das werde ich nicht verhindern können, nur weiß ich nie, wie ich reagieren soll, wenn ich bei ihr bin und mit ihr Dinge unternehme.

Ich habe keine Angst vor der Psychiatrie, ganz im Gegenteil. Ich finde es gut, dass den ganz "akuten" Fällen dort so gut geholfen werden kann!

Meine Freundin ist nicht blöd, ganz im Gegenteil. Selbst wenn ich das so formulieren würde, wie du es geschrieben hast, würde sie sich schon ihren Teil dazu denken. Und genau das will ich nicht. Und selbst wenn ich ihr ausdrücklich sagen würde, dass ich den Kontakt zu ihr NIE abbrechen wollte, wäre das bloß die verbale Ebene. Ich habe mal irgendwo gelesen, dass die nonverbale Ebene einer Unterhaltung deutlich überwiegt und tonangebend ist. Wie sollte ich mich also nonverbal verhalten?

Kennst du dieses "Solange du deine Füße unter meinen Tisch stellst"-Argument? Höre ich nur zu oft.
Du hast recht, sie akzeptieren nicht, dass ich ein eigenes Leben habe. Außerdem sind sie übervorsichtig geworden, seitdem mein Cousin gestorben ist. Letztens fuhr ich mit meinem besten Freund einkaufen und meine Mum rief mir noch nach: "Sag ihm, er soll vorsichtig fahren, ich habe nur eine Tochter!".
Schön und gut, dass sie sich Sorgen macht, aber so übertreiben muss man doch wohl nicht. Das höre ich so oft in anderen Zusammenhängen, sie sollte akzeptieren, dass für jeden irgendwann die Zeit kommt, egal wann und egal wo. Und ich bin nicht mein Cousin.

Ich verstehe meine Eltern. Stress, Überforderung, ich denke meine Mutter leidet an einer Depression, allerdings bin ich keine Ärztin und kann da nichts diagnostizieren. Sie geht oft genug zu einer Ärztin und die wissen bestimmt besser, was zu tun ist.

Das häufigere Einbinden in den Unterricht:
Wie gesagt, Donnerstag tat es sie mit der Folie, zu der ich kommentieren durfte. Ich hab gezittert und geschwitzt, später bemerkt, dass ich mich an meinem Schal festgekrallt habe. Ich denke sie hat es gesehen, als sie dann endlich sagte ich sei "erlöst" und die anderen könnten jetzt ebenfalls mal ihren Senf dazu geben, da sie eigentlich wieder eine Frage stellen wollte und diese dann abbrach.

Perfektionismus: ICH zwinge mich dazu, weil ich so hohe Erwartungen an mich habe und denke diese auch gestellt zu bekommen. Wäre ich damals mal bloß nicht zu diesem IQ-Test geschleppt worden.

Learning by doing: Heißt das, mir werden Aufgaben gestellt werden (wie zum Beispiel das freiwillige Mitarbeiten im Unterricht, was bis jetzt nur auf gezwungener Basis funktioniert)?

Mein ganzes Leben wurde geplant. Erst das Springen nach dem IQ-Test, dann meine Laufbahn am Gymnasium und nun das Studium. Ok, letzteres habe ich mir selbst ausgesucht, aber selbst das ist geplant. Ich fühle mich, als hätte ich keinen Freiraum für spontane Dinge mehr.

Nein, kein Berg. Kleine Wälder, in denen mich jeder hören würde. Wenn ich dort schreien würde, würde 10 Minuten später ein Polizeiauto neben mir parken...

Leistungsorientiert und -fixiert. Ordnung: Naja... Meine Schränke ertrinken im Chaos, oberflächliche Ordnung gibts allerdings schon.

Nochmal zu dem Geschenk: Mir fällt absolut nichts ein. Einen Strampler für ihr Baby halte ich für kitschig und nichtssagend, ein Fotoalbum bekommt sie schon (es war MEINE Idee und mein "netter"Stufenkollege reißt das nun an sich...) und ansonsten fiele mir wirklich absolut nichts ein, also: HILFE! Was könnte ich ihr nur schenken?

Und wieder: Ganz liebe Grüße!

Anwort von Michaela

Hallo :-)

Das Geschenk für deine Lehrerin: Aha, dein Kopf ist also gar nicht sooo leer, du bist auf den Gedanken mit dem Gedicht gekommen. Wenn dir das liegt: Just do it!

Deine Freundin: Ist es wirklich eine Hilfe, wenn du so sehr auf deine Freundin aufpasst, dass sogar jedes Lied unter die Lupe genommen wird? Letztlich verkrampfst du dabei nur, und der Spaß ist dahin. Klar, du weißt nicht, wie du reagieren sollst, und sie weiß es sicher auch nicht. Aber da hilft nur reden, reden, reden. Sag, was dich verunsichert. Die Worte auszusprechen kann helfen. Deine Freundin ist zwar momentan sehr sensibel, aber sie ist auch auf Antworten aus ihrer Umwelt angewiesen, und die betreffen auch solche "Kleinigkeiten" wie Unsicherheit. Es geht hier um Tabubruch, das ist mir klar, nur wird das Tabu nicht kleiner, wenn man es immer vermeidet. Ich kann dir nur noch mal das Buch "Trotz allem" empfehlen, damit du ihre Vergewaltigung verarbeiten lernst.

Wie sollst du es sagen? Verbal oder non-verbal? Ja, es stimmt, dass die eigentliche Botschaft nicht mit Worten rüberkommt, sondern durch Gestik, Tonfall etc. Das bedeutet aber auch, dass Worte nicht nötig sind, weil du vielleicht schon längst gesagt hast, was du sagen wolltest. Und deine Freundin wird es (non-verbal) verstanden haben. Worte sind demnach nur die Bestätigung des Non-Verbalen. Somit kannst du dich nicht gezielt anders verhalten - sei so, wie du bist. Dann ist es glaubwürdig, und dann wird deine Freundin sich auch ernstgenommen fühlen. Perfektionismus ist hier etwas schwierig :-)

Es gibt einen blöden Spruch:
Der Vater sagt zum Sohn: "Solange du deine Füße unter meinen Tisch stellst, hast du zu tun, was ich sage!"
Woraufhin der Sohn seine Füße auf den Tisch des Vaters legte.

Ja, Eltern machen sich Sorgen, und wahrscheinlich machen sie sich einfach zu große Sorgen, richten ihr ganzes Denken danach aus (Eltern tendieren dazu - ich nehme mich da nicht aus) und übertreiben maßlos. Ich denke, dass du ihnen schon zeigst, bis wohin sie gehen dürfen, sonst würden sie nicht solchen Widerstand leisten (weil sie es nicht annehmen wollen oder können?). Du bist nicht dein Cousin, sondern eine eigenständige Person. Es kann dauern, bis sie das verstehen, aber sie brauchen diese Zeit. Sie haben immerhin 18 Jahre auf dich aufgepasst. Dieses Umschalten zum Loslassen ist sehr schwer und dauert 2-3 Jahre (nicht erschrecken). Ich denke, dass deine Eltern dich sehr lieben, wenn sie sich auf einmal diesem Stress aussetzen, sich so zu verhalten, wie sie es gerade tun - für sie ist es bestimmt nicht einfach.
Wenn deine Mutter schon in Behandlung ist, tut sie das, wozu sie fähig ist, um die Situation zu entspannen. Niemand hat gesagt, dass eine Therapie nur die betroffene Person behandelt. Die Auswirkungen betreffen immer auch das Umfeld (und dass es dann kracht, hast du ja gesehen). Es wird vorüber gehen (auch wenn das jetzt abgedroschen klingt).

"Schuleinbindung": Das liest sich gut. Sie setzt dich also nicht nur dem Stress aus, sondern beendet ihn, wenn sie sieht, dass es dir zuviel wird. Also schützt und leitet sie dich. Klingt professionell :-)

Perfektionismus: Da haben wir´s. Wenn du jetzt noch den Grund nennen kannst, warum du perfekt sein willst - ich denke nicht, dass es der IQ-Test ist. Vielmehr tippe ich auf eine "Abwehrstrategie", die dir die Anerkennung bringt, die du zu Hause und in der Schule nicht erfährst? Oder werde ich jetzt zu theoretisch?

Learning by doing: Ja, so in der Art. Nur dass du dir die Aufgaben selbst stellst und auch selbst beurteilst. Womit du wieder an deinem Perfektionismus arbeiten musst. Eine fiese Methode, sehr wirkungsvoll.

Lebensplanung & Spontaneität: Okay, du hast alles geplant und dir keine Zeit zum Atmen gelassen. Wenn du noch mal alles überdenken könntest, was würdest du anders machen? Was ist dein größter Wunsch? Worauf kannst du verzichten?
Und was viel spannender ist: Was davon kannst du realisieren?

Berge & Wälder: Wenn die Polizei kommt und fragt, was du da tust, frage ich mich, ob die Polizei nicht zugehört hat. Soweit ich weiß, ist Schreien im Wald erlaubt (außer in der Brunftzeit, da muss man sowieso vorsichtiger sein). Und wieder: Just do it!

Ich zitiere:
"Leistungsorientiert und -fixiert. Ordnung: Naja... Meine Schränke ertrinken im Chaos, oberflächliche Ordnung gibts allerdings schon."
Das beruhigt mich ja schon wieder - also ist der Perfektionismus auch nicht ganz sooo perfekt? Wunderbar, darauf kannst du aufbauen!

Und noch mal das Geschenk: Sicher fällt dir was ein. Du hast doch auch schon was vorgeschlagen. Alles werde ich dir jetzt nicht verraten :-)

Es tut übrigens gut, auch mal so eine positive Resonanz zu bekommen. Da hast du mir auch schon geholfen.

Viel Spaß & liebe Grüße!

Michaela