Problem von Anonym - 22 Jahre

Chaos oder so

Hallo liebes Team,

ich versuche mal ganz offen über mein Problem (oder Probleme)zu schreiben. Ich hatte noch nie eine glückliche längere Beziehung. Das heißt, immer haben die Männer nach spätestens 2 Monaten einen Schlussstrich gezogen, mit der Begründung "Das liegt nicht an dir, wir passen nicht zusammen", zumindest beim Letzten war es so. Den hab ich richtig geliebt und hätte mir zum ersten mal vorstellen können, mit ihm später Familie zu haben. Ein sehr einschneidendes Erlebnis der krassen Art habe ich vor ca.4 Jahren mit meiner Mutter im Urlaub erlebt. Thema Sekte. Dort hatte ich (und meine Mutter) echte reale Todesangst und dachte, wir kommen nicht wieder nach Hause! Im Hotel lernten wir zwei Frauen kennen, die wie wir (also Mutter und Tochter) Urlaub machen wollten. Am Anfang war es super lustig und ich war auch etwas froh, nicht immer mit meiner Mutti zusammenhängen zu müssen. Tja, durch eine Ethik-Stunde aus der Schule erkannte ich, dass einige Dinge eindeutig waren, die auf eine Sekte hindeuteten.Bei mir hat es geklickt, als die "Tochter" anfing, mich über private Dinge regelrecht auszuquetschen. Klar ist das normal, wenn man Fragen stellt, um den anderen kennenzulernen, auch mal private Sachen. Aber ich hab gemerkt, dass ich irgendwie wie so ein willenloser Antworteautomat da saß. Ich meinte schonmal:"Wird das jetzt ein Verhör?!" Sie:"Sollen wir eine Pause machen?" und dann summte sie etwas mit dem Text "ich muss leiden,ich muss leiden." Und genau in diesem Moment bin ich aufgewacht und wollte nur noch weg! Dazu kam noch, wir saßen am Strand irgendwo und ich hätte nicht mehr den Weg zum Hotel gefunden. Sie hat auch immer schön getrödelt, um mich wieder "zu gewinnen".Wir kamen dann an einer Coktailbar vorbei, in der draußen meine Mutter mit der "Alten"lachte und keine Ahnung hatte, was mir gerade durch den Kopf ging!Um noch ein paar Details zu nennen: Die "Tochter" lebte in so einer seltsamen WG in einem großen Haus.Ich könnte ja mal sie besuchen, um ein Praktikum dort zu machen(?!).außerdem wollten die immer was mit uns machen. haben "zufällig"(?) unsere Automarken erraten, halt lauter solche Sachen eben! Das erklärt sich nicht so einfach, jedenfalls ging das soweit, dass wir jeden Tag außerhalb irgendwo nach Hause telefonierten, da wir uns auch so reinsteigerten und Schiss hatten, "die" könnten uns abhören. Mein Dad saß zu Hause und konnte mit keinem darüber reden, verzweifelt, hilflos, klar, wenn die eigene Familie da was von einer "wer weiß wie gefährlichen" Sekte erzählt und zwei Flugstunden weg ist. Wir haben das Hotel gewechselt, einen früheren Flug bekommen, und in fast jedem Menschen, der uns näher gekommen ist, einen "von denen" gesehen.Aber wir haben sofort den Kontakt abgebrochen, was natürlich extrem schwer ist: Man muss sich vorstellen: Diese Leute haben eine psychologische Schulung, sich Menschen als den/die große Freund/in zu geben und Vertrauen zu gewinnen. Außerdem waren die beiden alles andere als doof. Aber eben nicht schlau genug. Vielleicht hätte ich das alles ohne die Ethikstunde, indem wir das Thema Sekten behandelten, nicht gecheckt. Meine Mutter nämlich hat alles verzerrt, verleugnet, verdrängt.Mein erster Satz lautete, nachdem sie vom Coktailtrinken mit der "Alten"(haben für mich abwertende Synonyme) zurück ins Hotelzimmer kam:"Ma, wir stecken hier ganz schön in der Scheiße." Dann hab ich etwa 2 Stunden gebraucht, um ihr das klar zu machen, dass wir da ganz schnell weg müssen usw., das war ja auch alles so versteckt und nicht eindeutig, wie das ja oft bei psychologischen Dingen und Handlungen ist! Einen Mord sieht man, eine schleichende Gehirnwäsche nicht.
Ich weiß, dass sich alles sehr durcheinander, unverständlich und übertrieben klingt, aber ich habe das erlebt und könnte es ohne diese Erfahrung auch sehr gut aushalten, ganz ehrlich.
Ich hab ganz oft mit mit meiner Mutter darüber gesprochen, wir können auch drüber lachen, mit einer Freundin kann ich auch darüber reden. Kurz nachdem das passiert ist, wollten wir zu einem Psychologen, um das zu verarbeiten. Der hat mich dann am Ende der Stunde kaum noch beachtet, und laberte nur was von versteckten Ängsten von meiner Mutter.Also völlig missverstanden.Haben das auch gelassen mit dem, weil es eben so schwer zu verstehen ist!
Ich hoffe, dass ich es einigermaßen rüberbringen konnte. Das war die schrecklichste Erfahrung, die ich gemacht habe.
So, jedenfalls habe ich eben seitdem irgendwie Probleme mit anderen Menschen. Ich denke jedenfalls, dass seitdem irgendwas nicht ganz richtig läuft. Ich kann keinem fremden vertrauen zum Beispiel. Oder ganz konkret: Meinem letzten Freund, der sowas wie mein Traummann war, konnte ich nicht viel über mich erzählen, mich öffnen, fallen lassen.Er hat vieles über sich erzählt,ich hab ihm zuhören können (was ich gut kann,immerhin) aber wenn er dann mich ausfragte, hat sich meine Stimme etwas verstellt, ich leicht verkrampft,weiß auch nicht.
Auch total krass: Ungefähr ein,zwei Monate nach diesem "Urlaub" fragte mich eine Freundin, die ich schon lange kannte etwas über meine Eltern, und wie ich mit denen zurecht käme usw. Da muss ich sonen steinernen Gesichtsausdruck gekriegt haben und hab total misstrauisch reagiert-klingt schon fast lustig.
Und es kommen immer wieder Situationen vor, bei denen ich mir denke "Stur sein, abblocken, nur nicht manipulieren lassen!" Aus unbewusster Angst davor, jemand könnte Macht über mich bekommen,oder so.
Im Kurs von meiner Ausbildung (fast mein Traumberuf,was sozial-pädagogisches) kommt meine Art überhaupt nicht gut an und bin nicht wirklich beliebt, aber auch nicht auffällig unbeliebt. Wieso, weiß ich nicht. Ich weiß, dass ich ein schwieriger Typ bin, wirke vielleicht eher etwas kühl.
Und dann hab ich ein Problem, mit Menschen "Small-Talk" zu reden, also einfach über irgendwas und überhaupt! Das kann ich nicht mehr! Warum? Ich hab manchmal schon Angst, mich alleine mit wem zu unterhalten, da mir wenn überhaupt, nur Schrott einfällt! Sobald wir zu dritt sind, bin ich total "cool" und lustig, was ich von Natur aus auch bin. Oder war?
Ich weiß allerdings nicht, inwieweit mich dieses Erlebnis da verändert und gefangen hat.ich denke eigentlich schon, dass ich das gut verarbeitet hätte.Vielleicht hat es andere Gründe, warum ich mit Menschen nicht mehr so locker und natürlich umgehen kann.So brauchte ich momentan auch keine neue Liebe mehr eingehen, auch wenn ich nicht über Mangel an netten Männern klagen kann.Aber ich tue dann oft ziemlich arrogant und stelle mich so dar, als ob ich den Typen gerade nicht nötig hätte.Ich bin einfach doof halt.

Ich hoffe, ich komme hier weiter, danke fürs Durchlesen schonmal!
Lieben Gruß

Anwort von Sabine

Hallo!

Es kann, es muß nicht unmittelbar zusammenhängen, Dein Erlebnis mit der Sekte und das Führen einer Beziehung oder das Verhalten Dir gegenüber anderen Menschen.
Ich kann mir vorstellen, dass das eine sowieso in Deiner Natur liegt. Schließlich bist Du dem Mädchen aus der Sekte von Anfang an sehr skeptisch gegenübergetreten. Und ich denke nicht nur ab dem Zeitpunkt, wo Du Dir sicher warst, dass sie aus einer Sekte ist, sondern schon vorher, denn Du hattest vorher schon das Gefühl, dass sie Dich ausfragt und Du fühltest Dich vorher schon von ihr bedrängt. Jetzt ist es Dir bewußt, da Du dahintergestiegen bist, dass es eine Sekte sein könnte. Ich denke dieses Erlebnis, dass Dich jemand im Vertrauen so sehr mißbraucht hat, hat Dich bestimmt noch tiefer geprägt. Es hat noch einen tieferen Schnitt in das Gefühl, was Du eh schon hattest gesetzt. Zumindest waren das meine ersten Gedanken. Vielleicht ist ja was dran.
Zumal hattest Du zu Beginn Deiner Mail geschrieben, dass Du mit Deinem letzten Freund sogar hättest die Zukunft verbringen können oder wollen.
Klar, wenn man so ein Erlebnis gehabt hat, was einen noch mehr geprägt hat bzgl. des Gefühls auseinandergenommen zu werden, dann wird man vorsichtiger. Dir selber fällt es aber doch auch schon auf. Du schützt Dich, dass ist nicht schlimm, doch Du stellst auch selber fest, dass diese Schutzfunktion Dich auch traurig macht. Irgendwie kannst Du es nicht leiden an Dir, aber irgendwie schützt es Dich auch und gibt Dir Sicherheit.
Wenn ich ehrlich bin, ich weiß nicht, wie ich Dir dort heraushelfen kann oder sollte. Ich möchte Dir nicht den Schutz nehmen (was ich auch nicht kann, dass kannst nur Du), denn sonst fühlst Du Dich verletzlich und ich kann Dir auch nicht sagen, wie Du Dich vehalten sollst, damit es wieder - für Dich - normal läuft. Ich weiß es echt nicht, denn irgendwie hat ja jeder einen Schutzinstinkt in sich. Der eine hat einen stärker ausgeprägten, der andere einen nur sehr kleinen. Die einen Menschen sind halt sehr abenteuerlustig und riskieren einiges und die anderen sind sehr vorsichtig und testen lieber 10 x anstatt sofort zu reagieren.
Es ist nicht so falsch einen Schutzinstink zu haben, nur wenn Du selber spürst, dass es anfängt Dich zu vereinsamen, dann solltet Du beginnen die Notbremse zu ziehen. Hilfe suchen und mit jemanden sprechen. Du erkennst die Situationen selber, wie ich Deiner Mail entnehmen kann, vielleicht solltest Du nach den Vorkommnissen und Feststellungen noch einmal auf die Person zugehen und mit ihr sprechen. Dieses Problem offen behandeln, damit andere es verstehen können. Eigentlich auch ein Widerspruch, denn Du müßtest Dich wieder öffnen und das Gefühl der Sicherheit wäre weg.
Es ist schwierig für mich, hier einen Rat zu finden, muß ich ganz ehrlich zugeben, aber ich hoffe trotzdem, dass einiges an Anregungen für Dich dabei waren.

Lieben Gruß.