Feedback: ich habe jem. mit HIV infiziert
Liebe Sabine bzw. liebes KuKa-Team.
Es ist jetzt schon fast ein halbes Jahr her, seitdem ich das letzte Mal hier geschrieben habe. Deswegen nehme ich mal an, dass Du Dich nicht mehr an meine Beiträge erinnern kannst. Die Links:
http://mein-kummerkasten.de/23171/ich-habe-jem-mit-HIV-infiziert.html
http://mein-kummerkasten.de/24712/ich-habe-jem-mit-HIV-infiziert-2.html
http://mein-kummerkasten.de/27364/ich-habe-jem-mit-HIV-infiziert-Teil-3.html
Weswegen ich damals geschrieben hatte, ist jetzt schon so lange her. Trotzdem ist für mich alles noch ziemlich neu, ungewohnt und alles. Es ist viel passiert und bei mir hat sich so vieles verändert.
Ich habe es gelesen und erzählt bekommen: meine Mama hat auch einmal hierher geschrieben. Das war nachdem ich..äh..für mich alles beenden wollte. Ich weiß auch nicht, zu diesem Zeitpunkt war es für mich einfach, die einzig vorstellbare Lösung. Nicht weil, ich dachte ich hätte niemanden der zu mir hält oder mit dem ich reden könnte. Das war nicht der Grund. Ich hätte einfach nicht mit dem Wissen leben können, für das Leid eines anderen Menschen verantwortlich zu sein. Dieser Gedanken hat mich einfach so, ich weiß nicht genau, der Gedanke hat einfach überhand genommen. Außerdem ging es mir damals schlecht, weil ich nie mit jemanden schlafen wollte und es dann aber doch passiert ist. Ich habe mit vielen Leuten über das alles geredet. Anfangs musste ich mit ihnen reden, damit, wie sie sagen, ich eine Chance habe es zu verarbeiten. Ich wollte eigentlich nicht, aber jetzt finde ich, dass es geholfen hat. Aus diesen Gesprächen habe ich gelernt, dass Selbstmord, wie sie immer sagen, keine Lösung ist und so weiter. Das mag stimmen, aber damals habe ich gar nicht daran gedacht: Selbstmord uns so. Ich wollte einfach, dass alles aufhört. Diese Gefühle. Diese Schmerzen. Und diese Schuld.
Ich hatte wohl sehr viel Glück. Ich war längere Zeit im Krankenhaus. Tiefschlaf und so. Danach war alles sehr schlimm. Es ging mir richtig schlecht. Wegen allen Erinnerungen, den ganzen Medikamenten und weil ich anfangs nicht mal einen Löffel halten konnte. Auch nicht so richtig gehen und so. Das klingt sicher blöd und ist vielleicht auch peinlich oder so. Jetzt ist es wieder besser. Das einzige was ich nicht mehr so richtig kann wie früher, ist mit der Hand schreiben. Also, ich meine, leserlich schreiben. Ich bin immer zu wackelig. Aber das ist nicht so wichtig. Dieses Schuljahr muss ich auch nicht mehr zur Schule, weil ich schon soviel verpasst habe. Ich muss dann das Jahr wiederholen. Ich gehe trotzdem oft hin. Viele Leute sind jetzt anders zu mir, weil die meisten mitbekommen haben was war. Manche sehen mich blöd an und reden hinter meinem Rücken über mich. Andere mit denen ich früher nicht viel am Hut hatte sind jetzt plötzlich riesig nett zu mir. Das ist sicher nicht das schlechteste. Schlimm ist nur, dass mein kleiner Bruder Nathan von zwei älteren ein paar mal blöd angemacht worden ist, wegen mir. Das war richtig gemein und unfair. Wenn jemand etwas gegen mich hat, soll er gemein zu mir sein, das wäre nicht so schlimm. Mein Bruder kann aber nichts dafür. Das kann ich einfach nicht ertragen. Sonst läuft es daheim ganz gut. Meine Eltern sind toll. Es tut mir Leid, dass ich ihnen viele Sorgen bereitet habe.
Der Typ der mit mir geschlafen hat, meine Mama hat ihn angezeigt oder verklagt oder so, und weil er im Ausland lebt, dauert alles lange und diese ganze Sache mit Gericht und so weiter wird wahrscheinlich im Juli sein. Ein paar Freunde, oder frühere Freunde müssen eine Zeugenaussage machen. Gegen ihn. Ich muss oder soll das auch machen, klar. Weil ohne meine Zustimmung geht das ganze nicht. Ich weiß leider gar nicht ob ich das will. Wenn ich etwas nicht leiden kann, dann sind es zwei Sachen. Zu jemanden gemein sein und lügen. Wenn ich sagen würde, dass der Typ Schuld ist, würde ich lügen. Und das ist mein Problem. Ich und er hatten Glück, dass ich ihn nicht angesteckt habe. Ich weiß, was es heißt positiv zu sein. Und ich kann mir vorstellen wie er sich gefühlt haben muss, als er auf die Testergebnisse gewartet hat. Und das ist eines der schlimmsten Gefühle, denke ich, die man haben kann. Und ich hätte es gar nicht soweit kommen lassen dürfen. Deswegen will ich nicht aussagen. Ich will meine Eltern nicht enttäuschen und so, aber ich kann auch nicht irgendetwas gegen irgendjemanden unternehmen, damit der dann bestraft wird. Das könnte ich einfach nicht. Weil ich einfach niemand etwas böses will.
So geht es mir meistens ganz gut. Manchmal gibt es Tage an denen ich mich so eingesperrt fühle. Ich kann es nicht genau beschreiben, aber an diesen Tagen tut einfach alles weh. An anderen Tagen will ich einfach von nichts auch nur irgendetwas wissen. Auch die blöden Medikamente nerven mich und meistens auch die Therapiestunden die ich machen soll. Klar, im Endeffekt weiß ich, dass mir das alles hilft, aber es ist oft einfach schwierig.
Ich weiß, ich habe ziemlich viel und lang geschrieben, aber ich wollte mich einfach, bei Dir Sabine bedanken. Du hast mir oft geantwortet und geholfen. Es war ein gutes Gefühl und ich erinnere mich oft, wie ich damals über deine Ratschläge nachgedacht habe. Am meisten will ich dir aber danken, dass du meine Mama geholfen hast und sie getröstet hast. Das bedeutet mir wirklich viel, und ich weiß, dass sie Dir auch sehr dankbar ist. Tut mir Leid, wenn meine Antwort so lange gedauert hat und jetzt ein bisschen lange geworden ist. Ich wollte nur richtig und aufrichtig, ?Danke? sagen.
Liebe Grüße, Leah
Hallo Leah!
Du hast mir mit Deiner Mail eine riesen Freude bereitet. Ich habe oft an ich gedacht und oft an die Mails mit Deiner Mutter. Oft habe ich mich gefragt, wie es Dir geht. Ich habe Dich nicht vergessen.
Wie ich höre, geht es Dir im Großen und Ganzen gut. Es freut mich wirklich sehr und wenn ich ehrlich bin, habe ich mir eine Träne weggewischt, als ich gehört habe, dass Du Dich wieder gemeldet hast. Danke. Wenn ich könnte, würde ich Dich jetzt fest in den Arm nehmen.
Was die anstehende Verhandlung angeht, weiß ich genau, wie es in Dir aussieht und wie Du darüber denkst und fühlst. Zum einen hast Du es beschrieben und zum anderen habe ich ähnliches erlebt, als ich zu meiner Vehandlung mußte.
Du mußt nicht lügen, damit er eine Strafe bekommt. Ich glaube, es würde bald schon ausreichen, wenn Du Dich an Deine erste Mail an mich erinnerst. Dort stand alles drin, was der Richter wissen muß. Sei ehrlich und sage einfach die Wahrheit, wie Du es damals hier in Deiner Mail auch getan hast. Der Richter wird Dir Fragen stellen und wenn Du sie beantwortest, wie es gewesen ist, dann wird er seine gerechte Strafe bekommen. Du mußt nicht lügen oder dergleichen, damit er eine Strafe bekommt. Jeder Richter wird erkennen, was vor sich gegangen ist. Lügen sind überhaupt nicht erforderlich. Geh einfach hin und nimm jemanden an vertrauter Person mit, denn ich weiß, wie sehr es einen aufwühlen kann und wie es einen für den Tag herunterzieht. Danach wirst Du aber feststellen können, wievie Stärke eigentlich in Dir steckt. Es ist wichtig, dass Du aussagst und dann entschieden wird. Du kannst an dem ganzen Geschehenen und dem Vorfall überhaupt nichts. Er hat es Dir angetan und nicht Du ihm. Du bist nicht schuld. Was das betrifft, denkst Du falsch. Erinnere Dich an unsere Mails. Du bist nicht schuld. Er hat falsch reagiert. Du hast ihm zu verstehen gegeben, dass Du das alles damals nicht wolltest und er hat nicht gehört oder zugehört. Doch Deine Schuld war es gewiss nicht. Er hat strafrechtlich gehandelt und nicht Du. Bitte glaube mir und mache Deine Aussage, wie alles damals geschehen ist. Danach wird es vorbei sein.
Beispiel: Nach einer zweijährigen Beziehung beendet die Frau die Beziehung, da es aufgrund seiner Alkoholprobleme nicht mehr funkioniert. Sie beendet alles, um ihre Kinder zu schützen. Sie wollte - genau wie Du - nie jemandem etwas Böses. Ganz im Gegenteil, sie hat ihn geliebt, doch die Angst, dass ihren Kindern etwas passieren könnte, hat die Beziehung beenden lassen. Er kann es nicht verstehen. Ist verletzt bis auf den letzten Punkt und will sich dafür rächen, was er ihr an Gefühlen angetan hat. Er kann nicht verstehen, dass sie die Beziehung beenden will. Er rächt sich. Steht eines Tages vor ihrer Tür und überfällt sie. Körperliche Gewalt und Vergewaltigung. Sie zeigt ihn an und er bekommt seine Strafe vom Gericht. Sie hat Angst alles noch einmal aussagen zu müssen vor Gericht. Sie denkt, sie hat Schuld, weil sie doch die Beziehung beendet hat und ihn so verletzt hat. Dabei wollte sie doch nur sich und ihre Kinder schützen. Trotzdem hat sie Schuldgefühle. Es hat lange gebraucht, bis sie verstanden hat, dass nicht sie daran Schuld ist. Er war es, der strafrechtlich falsch gehandelt hat. Er hat sich genommen, was er wollte. Wenn sie ihn nicht angezeigt hätte, würde er es vielleicht wieder tun. Wenn nicht mit ihr, dann vielelicht mit einer anderen Person. Es war gut, dass sie ihn angezeigt hat. Die äußerlichen Narben, die können verheilen. Die Strafe kann abgesessen werden, aber die innerlichen Narben, die bleiben. Sie hat bestimmt nicht gewollt, dass jemandem etwas Böses geschieht oder sie will bestimmt niemandem etwas Böses antun, aber was er mit ihr gemacht? Wer hat ihm das Recht gegeben so vorzugehen? Niemand, denn es ist strafbar, was er gemacht hat.
Ich weiß, dass man sowas nie vergessen kann, aber man kann lernen damit zu leben. Ich mußte es auch lernen. Klar kommen gelegentlich die Erinnerungen wieder hoch. Ich kann Dir nicht sagen, dass man es vergessen kann. Das wäre gelogen. Du hast aber selber erfahren können, wie gut es tut darüber zu reden. Das ist es, was hilft. Mir hilft es heute auch noch. Doch die Momente der Erinnerungen werden weniger. Fast heute auf den Tag ist es zwei Jahre her, dass mir ähnliches passiert ist und auch ich denke noch gelegentlich daran. Ich weiß, dass ich nicht schuld bin. Du weißt, dass Du nicht Schuld bist.
Deine tolle Familie steht Dir zur Seite und Du wirst es schaffen. Da bin ich mir ganz ganz sicher.
Lass Dich drücken und melde Dich, wenn Du magst.
Lieben Gruß
Sabine
P.S..... und vielen Dank für Deine Mail. Ich habe mich sehr gefreut :-)