Problem von Anonym - 25 Jahre

Kontakt zum Bruder verloren

Liebes Kuka- Team,

ich hätte gerne einen Rat von euch, und hoffe dass Ihr mir alsaußenstehende helfen könnt.
Bisher hatte ich zu meinem Bruder (3 Jahre jünger) ein sehr gutes Verhältnis. Er ist vor 3 Jahren 200km weit weg aufs Dorf zu seiner Ex-Freundin gezogen, was nichts daran änderte das wir regelmäßig telefonierten und uns etwa einmal im Monat sahen. Wir haben miteinander geredet, sind manchmal feiern gegangen und haben uns auch so gelegentlich unter die Arme gegriffen, z.B. zusammen Auto gekauft, Steuererklärung vorbereitet, Geschenke für Eltern ausgesucht... Ich war immer sehr stolz auf ihn, weil er trotz schlechtem Start (Sonderschule ohne Abschluss, beinahe Analphabet) seinen Weg gefunden hat und verlässliche, manchmal mutige Entscheidungen getroffen hat. Jetzt habe ich ihn verloren. Und das kam so:

Ich war im Januar bei ihm zu Besuch, er hat für seine Freundin (Ivo) und mich Sekt besorgt und ne Liebeskomödie. Ihm liegt daran das ich mich mit seiner Ivo verstehe. Später am Abend kamen wir Mädels auf die Idee mit ihm in die Disko zu gehen. Er war einverstanden, wir haben uns fertig gemacht, da wir getrunken haben ist er gefahren. Der Abend war richtig schön, er war aber müde. Wir haben uns darauf geeinigt um 3:00 nach Hause zu fahren. Ivo und ich hatten keine Uhr um, als es 3:00 Uhr war hatten wir gerade volle Gläser. Ich gebe zu das wir nicht auf Ex getrunken haben, aber doch recht zügig. Er drehte sich ohne ein Wort um, bezahlte seine Karte und ging raus. Ivo und ich konnten unsere Karten nicht zahlen weil wir keine Taschen mit rein genommen haben und ihm unser Geld anvertraut war. Der Türsteher ließ uns erst nach längerem Bequatschen raus, so das wir ihm nicht schnell genug hinterher laufen konnten. Wie wir raus kamen steht er mit laufendem Motor vor der Tür. Wir gehen auf den Wagen zu, als ich nach der Tür greife fährt er weg und kommt nicht wieder.
Wir stehen also im Spagettitop nachts um drei auf nem Dorf 200 km weit weg von zu Hause im Schneeregen. Wir können die Verzehrkarten nicht bezahlen, der Laden macht in absehbarer Zeit zu. Und die Jacken mit Telefon und Schlüssel liegen auch im Auto.
Am Anfang konnte ich garnicht glauben das er uns wissentlich in so eine elementare Notsituation gebracht hat. Es ist niemand da den wir um Hilfe bitten können. Wir können nicht telefonieren weil kein Handy da ist und ich auch keine Nummern von Leuten die rechtzeitig da sein könnten im Kopf habe. Wir können kein Taxi bezahlen, es fahren keine Busse und die Schlüssel um zu Hause rein zu kommen hat er auch. Ivo weiß seine Tel. Nr. auswendig. Es war nicht einfach den Türsteher in dem Laden in dem wir schon unsere Karte nicht bezahlen können dazu zu bringen uns telefonieren zu lassen. Mein Bruder hat Ivo 3 mal weggedrückt. Er wollte uns also definitiv nicht helfen.Wir überlegen was wir tun können und kommen auf drei Ideen.
1. Die Polizei rufen und ihn anzeigen. Er hat gegen unseren Willen unseren gesamten Kram mitgenommen.
2. Jemanden bitten mit seiner Kreditkarte die Tür bei der Volksbank auf zu machen. Da ist es warm, kein Schneeregen. Draußen überstehen wir die Nacht nicht...
3. Auf Higheels und spärlich bekleidet 4 Kilometer durch den Schneeregen zur Notaufnahme des Kreiskrankenhauses laufen. Die haben immer geöffnet.

Wir haben uns für 3 entschieden. Und ich glaube ich habe noch nie so gefroren. Als wir ankamen waren wir im Krankenhas genau richtig. Am nächsten Morgen haben wir Ivo´s Schwester erreicht. Sie ist 60km gefahren, hat uns was zum anziehen gbracht und mich zu meinem Bruder gefahren.
ich war immer noch fassungslos das er so ne Aktion gebracht hat. Und ich war so wütend. Und traurig. Als ich meine Sachen gaholt habe warf ich ihm an den Kopf das er sich in Grund und Boden schämen sollte. Er sagte das wir nichts anderes verdient haben wenn wir ihn provozieren und nicht sofort kommen wenn er sagt das er jetzt geht. Seit dem haben wir kein Wort mehr miteinander gewechselt. Nichtmal zum Geburtstag.
Ich will ihn nicht zum Buhmann machen, weil ich denke das insgesamt recht hatte, nur völlig überreagiert hat. Er wollte uns Mädels einen schönen Abend zu Hause machen. Disko war eigentlich nicht geplant. Er wollte uns einen Gefallen tun, ist gefahren obwohl er müde war und hat klar gesagt wann er fahren will. Als er raus ging hat er wohl nicht daran gedacht das wir ihm nicht folgen können weil er das Geld hat. Während wir den Türsteher bequatscht haben hat er auf uns gewartet. Er war schon immer aufbrausend und ich kann mir gut vorstellen das er gedacht hat wir kucken wie weit wir gehen können und nutzen seinen guten Willen aus. Bis dahin denke ich, hat er alles richtig gemacht. Ich wäre ihm auch nicht so böse gewesen wenn er unsere Sachen dagelassen hätte. Oder uns mitgenommen hätte und wütend gewesen wäre. Oder weggefahren wäre, uns nen Schreck eingejagt hätte und später wieder gekommen wäre.
Er hat vor unserem Cousin damit geprotzt das er uns ohne irgendwas hat stehen lassen damit wir lernen ihn nicht zu provozieren. Und an der Stelle wird es für mich schlimm. Er wusste in was für eine Situation er uns bringt. Er wusste das wir ohne Jacken, Geld, Telefon und Schlüssel hilflos sind. Er war sich der Konsequenzen hoffentlich nicht in voller Tragweite bewusst. Ich denke der Abend hat auch so übel genug geendet. Wir haben ihm vertraut, er hatte Macht über uns und hat sie voll ausgenutzt. Ivo hat die ganze Nacht geheult, und ich hätte Sie am liebsten erwürgt. (Ob der Arme wohl gut nach Hause gekommen ist? Hoffentlich ist ihm unterwegs nicht passiert wo er doch so aufgebracht war... was mach ich den nur wenn er mich jetzt nicht mehr sehen und sprechen will? Das ist alles unsere Schuld, wie sollen wir nur je wieder gut machen was wir ihm heute Nacht angetan haben....) Er hat Ihr nach 3 Tagen verziehen. Sie sagt jetzt brav zu allem ja uns amen.

Ich leide auch jetzt noch unter diesem Bruch. ich kann beim Schreiben hier sitzen und heulen. Er war immer einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben. Ich denke nicht das von jetzt auf gleich wieder alles sein kann wie es war. Aber ich möchte zumindest wieder mit ihm im gleichen Raum sein können ohne das wir uns aneisen. Für mich ergeben sich einige Probleme und Fragen bei deren Beantwortung Ihr mir vielleicht helfen könnt.

Seit der Geschichte bin ich absolut misstrauisch gegenüber anderen. Ich vertraue auch bei Kleinigkeiten niemandem mehr. Ich mache so viel wie möglich selbst, z.B. lasse ich mir nichtmal mehr ein Brötchen von der Kantine mitbringen.
Ich schaffe es nicht klein beizugeben und auf ihn zuzugehen solange er den unnahbaren spielt und weiter Freunden und Bekannten erzählt wie toll er es den Mädels gezeigt hat.
Wenn er wirklich so ein A**** ist wie ich fürchte möchte ich keinen engen Kontakt mehr zu ihm. Ich habe mich gedanklich aber immer noch nicht von ihm gelöst.
Ich denke das es mit Ivo an seiner Seite doppelt schwer für ihn wird seine Fehler einzusehen.

Ich vermisse ihn sehr.

Dana Anwort von Dana

Grüße Dich!

Na, der hätte mir am nächsten Morgen aber nicht unter die Augen treten dürfen! Ich halte mich wirklich für einen toleranten Menschen, aber das?
Wenn man der Fahrer ist, muss man sich auf den Satz "Ich trink noch eben aus" gefasst machen und rechtzeitig bescheid sagen. Ich kenne es so, dass man schon froh sein muss, wenn nicht noch mal 'nur noch eine Runde' bestellt wird. Ich gebe ihm nicht ein Fünkchen recht. Er war müde und hat sich breitschlagen lassen, euch noch zu fahren. ER hat ja gesagt. Er hätte euch eure Sachen geben können und nach Hause fahren - egal zu welcher Zeit. Tausend Möglichkeiten - die, die er gewählt hat ist ein Hammer.

Ich denke, was euch fehlt, ist das wirkliche Gespräch darüber - vielleicht sogar der Streit, der dazu gehört. Das berühmte Gewitter, das die Luft reinigen kann. Wirklich schade, dass Ivo das alles komplett anders sieht und glücklich ist, dass er ihr verziehen hat. Meiner Ansicht nach hätte es genau andersherum sein müssen. Ich weiß nicht, ob er das je einsehen wird. Aber meine Meinung würde ich ihm an Deiner Stelle schon geigen wollen.

Stellst Du es bei den Leuten richtig, vor denen er protzt? Wie nehmen die es auf? Sehen die sein Verhalten auch als cool und richtig an? Erzähle Deine Version, erzähle, dass er wissentlich in Kauf genommen hat, dass seine Freundin und seine Schwester so hilftlos durch die Nacht laufen. Trete für Dich ein - so kannst Du damit vielleicht auch abschließen und Vertrauen wiederfinden. Nämlich dadurch, wie die anderen reagieren. Nicht jeder ist so.

Irgendwie kann ich verstehen, dass Du nicht klein beigeben möchtest. Musst Du auch nicht. Aber melden kannst Du Dich dennoch. Oder auf einer Feier auf ihn zugehen und die Konfrontation suchen. Diese Geschichte muss vom Tisch, wenn ihr euch wieder annähern wollt. Sprecht euch aus.

Alles Gute!
Dana