Problem von Franziska - 22 Jahre

Zweites Praktikum - nach der Berufsausbildung!

Liebes KuKa-Team!

Nach dem guten Abschluss an der Berufsfachschule für Werbung (Ausbildung zur Werbe- und Kommunikationsgrafikerin) hab ich mich zunächst gefreut: Eine gute Ausbildung in der Tasche! Dann ging es allerdings erst los: Job finden. Die Lehrer hatten uns empfohlen, zunächst ein Praktikum zu absolvieren. Zunächst habe ich ein halbes Jahr (!) in einer Werbeagentur Praktikum gemacht. In Hamburg ist das Leben nicht günstig... trotzdem habe ich mich mit knappen 400 Euro durchgefressen. Klar sagt man: "Mensch, verkauft euch nicht unter eurem Wert..." Aber die Chancen auf dem Arbeitsmarkt sind für Berufsanfänger in der Werbebranche sehr gering. Die schulische Berufsausbildung zum Werbegrafiker ist nicht genug praxisorientiert - eine betriebliche Ausbildung gibt es in diesem Berufszweig nicht.

Deswegen lassen es viele Firmen ruhig angehen und sagen zunächst: "Mal sehen was du kannst" und wollen nur Praktikanten. Andererseits gibt es noch die Studenten, die Pflichtpraktikas leisten müssen (diese Praktikas dauern genau 6 Monate). Die Werbeagenturen und Werbeabteilungen bedienen sich also an den besten Leuten, die sowieso ein Pflichtpraktikum machen müssen, und freuen sich alle halbe Jahre wieder auf angehende Diplomgrafiker - natürlich zum (fast) Nulltarif.

Warum sollte also eine Firma einen Mitarbeiter einstellen, wenn überall ehrgeizige Praktikanten zur Verfügung stehen? Letzendlich freuen sich die Studenten auch über ein gutes Praktikumszeugnis und hängen sich richtig ins Zeug. Soweit so gut - der Student lernt etwas - die Firma ist glücklich.

Jetzt komm also ich - mit einer fertigen Ausbildung / keine Berufserfahrung. Warum sollte eine Werbeagentur MICH als Praktikant nehmen? Es gibt genug Studenten, die diesen Job übernehmen! Ich hatte also ernsthaft Probleme, eine Praktikumstelle zu finden! Einen "richtigen", gut bezahlten Job als Werbegrafikerin konnte ich leider nicht ergattern, hier werden mindestens 3 Jahre Berufserfahrung vorausgesetzt. Versucht habe ich es natürlich, sehr sehr oft, auf diese Stellen bewerbe ich mich ständig! Aber ohne Berufserfahrung habe ich null Chancen, trotz sehr guter Arbeiten (Bewerbungsmappe), und guten Abschluss.

Bevor ich also wieder ein halbes Jahr verzweifelt und erfolglos nach einem Job in diesem Bereich suche, habe ich ein weiteres Praktikum begonnen. Das ist jetzt 2 Monate her. Glücklicherweise konnte ich jetzt schon zwischen einigen Firmen wählen, mein Praktikumszeugnis von der letzten Arbeitsstelle war eine glatte 1. Natürlich habe ich mich immer gleich nach einer möglichen Übernahme erkundigt. Die jetzige Firma ist die einzige, die mir diese Option bot, die anderen haben wenigstens ehrlich zugegeben, dass das Praktikum befristet ist.

Jetzt mein eigentliches Problem ;)

In der jetzigen Firma gibt es mehrere Praktikanten. Wir (die ganze Firma) arbeiten teilweise bis 11 oder 12 Uhr Nachts, vor 20 Uhr bin ich noch nie rausgekommen. Jetzt denkt sicher jeder: Warum lassen die Leute sowas mit sich machen??? Die Termine sind leider sehr eng gesetzt, wir werden kaum mit der Arbeit fertig. Ein Praktikant vor mir war so "frech" und ist vor einem anstehenden Termin am Abend zuvor um 22 Uhr gegangen - und wurde vom Chef gemobbt bis er das Praktikum aufgab. Mittagspause? Fällt fast immer aus. Bezahlte Überstunden? Gibt es nicht. Urlaubstage? Sind verfallen, da wir sie im vorhinein eintragen mussten; zu dem Zeitpunkt unseres Urlaubs war soviel Stress, dass die ganze Belegschaft auf ihren Urlaub verzichtet hat. Ein neuer Azubi wurde aus der Firma "gebissen" weil er anscheinend die Arbeit nicht gut genug gemacht hat. Also ein paar mal länger in der Arbeit sitzen ist ok, unsere durchschnittliche Arbeitszeit pro Tag ist bei 11 Stunden. Natürlich schreiben wir uns unsere Stunden auf Zeitzettel und geben diese ab - aber was nützt es? Da wir keine Freizeit haben und eigentlich nur noch ins Bett fallen, wenn wir heimkommen, sind wir alle total ausgelaugt. Da tut sich natürlich die Frage auf, ob wir nicht mehr Arbeitskräfte gebrauchen könnten... auf der Internetseite der Firma findet man Stellenangebote für Praktikanten!

3 Praktikanten vor mir haben bereits das Handtuch geschmissen - obwohl auch sie die Möglichkeit auf eine Festanstellung hatten. Einer war gegen die "Arbeitsweise" (ging schon um 21 oder 22 Uhr) und wurde vom Chef + Assistentin bereits nach 3 Monaten verkrault. Die Zweite konnte sich nach Praktikumsende mit dem Chef nicht auf ihr späteres Einkommen einigen (sehr wenig???), die Dritte wollte einen neuen Beruf erlernen, weil sie unglücklich war.

Meine Eltern sind bereits sehr besorgt. Um kurz nach halb elf kommt jeden Abend die SMS, ob ich immer noch arbeite... Ständig sagen sie mir, dass ich mir einen neuen Arbeitsplatz suchen sollte... aber wo? Das ich schlecht und unfair behandelt werde, weiß ich selber. Aber was tun? Ich brauche auf jeden Fall wenigstens ein gutes Praktikumszeugnis! Also noch weitere Monate durchkämpfen bis in die Nacht um 11? Ansprechen beim Chef ist schwierig: er sagt sicher: "Ja dann geht doch um 18 Uhr" - Aber dann werde ich nicht mit der vielen Arbeit fertig! Die anderen kämpfen sich ja auch durch....

Ich freue mich auf Hilfe!

Anwort von Phine

Liebe Franziska,
Es kommt mir grade so vor als lese ich meinen eigenen Text.
Genau so wie dir erging es mir vor einem jahr aus: Grafikdesignstudium fertig, Halbjähriges Praktikum zu 400 Euro mit Arbeitszeiten durchschnittlich von 9 bis nach Mitternacht.
Das hundsmieserable Angebot zur Festanstellung nach einem halben Jahr habe ich abgelehnt.
Mein Verstand hat gesagt: wow, festanstellung, Sicherheit usw aber mein Bauchgefühl hat gesagt: Wozu opferst du dich auf, wenn es dafür noch nichtmal Annerkennung gibt, man keine Freizeit mehr hat und dennoch pleite ist.
Um in der Werbebranche glücklich zu sein muß man der Typ dafür sein. Solche Leute sind mir schon über den Weg gelaufen, Leute denen es einen Kick gibt 80 Stunden die Woche zu arbeiten, die auf Zeitdruck stehen und bei denen das Geld da nicht so wichtig ist. Wir beide gehören wohl nicht dazu!
Mach dir keinen Streß! Ja, wir haben definitiv den richtigen Beruf, es ist nur die falsche Branche. Gestalten ja, Werbung nein.
Einer Kollegin, die immer die Nächte durchackern mußte habe ich mal geraten: Such dir nen Halbtagsjob um Geld zu verdienen (kommt finanziell besser) und den Rest des Tages arbeitet man in seinem Job ohne Geldsorgen.
Ich habe mich nachdem ich die Festanstellung abgelehnt habe selbstständig gemacht. Anfangs ist das finanziell übel, aber wenn man am Ball bleibt, viel Aquise macht und wirklich dahinter steht kann man nach ein Paar Monaten um einiges mehr als als Angestellter verdienen.
Aber Selbstständigkeit ist ja auch nicht jedermans Sache.
Also bewirb dich einfach weiter.
Ich kann dir ganatieren, es gibt in Hamburg unmenge an Werbeagenturen bei denen man spätestens 20 Uhr Feierabend hat (außer in Extremphasen). Ich denke auch, dass du, da du ja schon Arbeitserfahrung durch praktika hast schnell an einen Job kommen wirst. Vielleicht kannst du ja 1-3 Monate Praktikum machen, wenn hinterher eine hohe Chance auf Festanstellung da ist. Das hab ich auch schon bei Freunden erlebt. Vielleicht kannst du dich bei Firmen direkt bewerben, viele brauchen Grafiker im Haus. Da hat man 18 Uhr Feierabend, bekommt Überstunden bezahlt, ein 12. gehalt usw. Also der wahre Luxus für einen Grafiker ;-)

Glaub mir, du bist definitiv nicht die Einzige in dieser Branche der es so ergeht - ich kenne da einige. Heulanfälle fast täglich sind da schon fast normal. Aber wie gesagt, es ist nicht überall so.
Ich denke dir den Rat zu geben nach was anderem zu suchen ist der beste Rat, denn etwas Freizeit ist für Menschen lebensnotwenig. Ich habe genug Leute zusammen brechen und danach wochenlang im Krankenhaus liegen sehen - das mußt du nicht auch!