Problem von Anonym - 20 Jahre 18.02.07

feedback zu: genug von diesem spiel

Lieber christoph,

ich persönlich denke nicht, dass du verrückt bist. ich denke, du bist intelligent und sensibel, ein mensch, der sehr viel reflektiert, nachdenkt und durchschaut. mir geht es oft ähnlich wie dir, ich fühle mich oft unausgesprochen angegriffen, vielleicht zurecht, vielleicht auch nicht, nehme stimmungen sehr intensiv wahr, denke viel über mich selbst und andere nach und einiges an fassade und hinterhältigkeit in dieser welt ist einfach nicht zu leugnen, auch wenn es sich empirisch kaum beweisen lässt. mir sagen oft leute, ich sei zu kompliziert, würde vieles zu eng sehen. das problem, wenn man einmal angefangen hat, sich und die umwelt zu beobachten und hinterfragen ist leider, dass man zu einer gewissen naivität nicht zurückfindet, die vorher die verdrängung von inneren wahrheiten geschützt hat. bei uns beiden ist dieser schutz vermutlich weg. dann sieht man überall die lügen und oberflächlichkeiten, die uns begleiten - auch die eigenen ( was fast am schlimmsten ist ). man wird immer ehrlicher zu sich selbst und das kann manchmal furchtbar wehtun. trotzdem denke ich nicht, dass es sich nicht lohnt, in dieser welt weiterzuleben. wir sollten versuchen, unsere analysen und vorbehalte zeitweise auch beiseite zu legen und an der oberfläche mitzuspielen. ich weiß, wie schwer das ist. allles kommt einem weiterhin so verlogen und banal vor, man sieht immer wieder, wie menschen einander hintergehen oder substanzloses zeug zu ihrem lebensinhalt machen, will bei so etwas nicht dazugehören. ich weiß nicht, ob du manchmal von anderen als arrogant eingestuft wirst - ich schon. vielleicht bin ich arrogant. vielleicht nicht. ich bin auf jeden fall kritisch, selbstkritisch und ziemlich egozetrisch. muss lernen, mich selbst nicht mehr so wahnsinnig wichtig zu nehmen. mache diesbezüglich leider überhaupt keine fortschritte, weil ich mich innerlich sperre.
ich glaube, du denkst noch sozialer als ich. mehr über andere, weniger über dich selbst. ging mir auch mal so. aber ich glaube, meine ja auch sehr kritische selbstbezogenheit hat mich ein ganzes stück weiter gebracht. das, was ich an der welt am ehesten ändern kann, bin ich selbst, und vielleicht geht es dir ja genauso. viellleicht kannst du die welt irgendwann ein stück ehrlicher machen, wenn du erstmal deine eigenen inneren konflikte anpackst und versuchst dir selber gutes zu tun. ich kenne ein paar menschen (vorwiegend schwarzgurte einer kampfkunst, die ich seit vier jahre lerne), die mitten in der oberflächlichen welt glücklich leben und das spiel sozusagen mitspielen, obwohl sie weder unkritisch noch unsensibel und knallhart ehrlich und direkt sind. diese menschen sind total angenehm, strahlen eine wahnsinnige wärme aus und machen mit ihrer eigenen echtheit die welt tatsächlich ein stück ehrlicher und menschlicher. ich persönlich möchte mich total gerne in diese richtung entwickeln. es ist verdammt schwer und ich komme momentan auch nicht weiter, aber wenn man sich auf diesem weg ein stück weit durchgebissen hat, gibt es immer öfter auch glücksmomente, für die es sich einfach lohnt. das ist wohl innere kampfkunst. ansonsten kann ich dir raten, viel sport zu machen, mit gleichgesinnten zu sprechen (wenn du welche kennst) und den steppenwolf von hermann hesse zu lesen.
glaube nicht, dass es für dich eine lösunng ist, aufs land zu ziehen. ich lebe auf dem land, und hier ist auch alles fassade, vielleicht sogar noch mehr. zicken, lästern und intoleranz sind keine reinen stadtsymptome!!!

ok, ich weiß nicht, ob ich dir geholfen habe - vielleicht hab ich auch nur mir selbst geholfen. ist vielleicht auch egal, es gibt einfach dinge, die müssen nicht nur gedacht sondern auch gesagt werden.

viele liebe grüße ans team, ich habe mittlerweile schon von vier verschiedenen mitgliedern differenzierte und hilfreiche antworten bekommen und bewundere eure arbeit. könnte mir durchaus vorstellen, sowas auch zu machen, später, wenn ich mit mir selbst vielleicht doch mal klarkomme und endlich in mir ruhe...