Problem von Anonym - 17 Jahre

Bin ich hartherzig?

Hallo liebes KuKa-Team,

meine Schwester ist magersüchtig und seit kurzem in psychatrischer Behandlung.
Meine Familie zeigt sehr viel Verständnis für sie, besucht sie so oft wie möglich und telefoniert auch oft mit ihr - ich bilde die einzige Ausnahme.
Ich weiß nicht warum, aber auf der einen Seite bin ich sauer auf sie, dass das so passiert ist, obwohl ich vorher mit ihr oft darüber gesprochen habe (ich weiß, dass es eine psychische Erkrankung ist und sich die Betroffenen irgendwann nicht mehr "wehren" können, aber ich kann mir das nur so schwer vorstellen, wie man nicht zumindest einen Teil aus eigener Kraft schaffen kann) und zum anderen vermisse ich sie nicht so sehr.
Das mag vielleicht auch daran liegen, dass wir in letzter Zeit nur noch wenig Kontakt hatten, da ich erst sehr spät aus der Schule nach Hause komme und sie meistens in ihrem Zimmer war und nicht gestört werden wollte.
Zu meinem jüngeren Bruder hab ich einen viel besseren Draht.
Es tut mir wirklich alles auch Leid, aber ich kann mich einfach nicht dazu überwinden, bei ihr anzurufen oder sie zu besuchen, ich kann mir selbst nicht erklären, warum :(
Meine Familie bezeichnet mich als hartherzig und unsensibel, ich werde täglich damit konfrontiert, dass mir meine Familie ja ach so egal sei und mir meine Schwester mit ihrer Krankheit auf die Nerven ginge.
Das stimmt aber so nicht! Es ist mir nicht egal, aber ich kann damit...irgendwie auch einfach nix anfangen.
Ich weiß, das ist irgendwie blöd, aber ich persönlich glaube, dass jeder Mensch durch seinen Willen eine Menge erreichen kann, psychische Erkrankungen der Art wie Magersucht...ich weiß nich.
Ich denk immer, die Menschen hätten das dann selbstverschuldet.
Was soll ich nur tun? :(
Ich möchte nicht als herzlos dastehen.
Meine Schwester ist mir nicht egal.

Liebe Grüße

Anwort von Andrea

Hey du,

es faellt mir gerade ein wenig schwierig, den Anfang zu finden - und da ich gerade keinen passenden finde, dir aber unbedingt eine Antwort schreiben möchte - fang ich einfach mitten in meinen Gedanken an ;-)

Bist du hartherzig, dass ist deine Frage?
Ich würde sagen nein,...
Weißt du, du wirst bestimmt schon eine Menge über Magersucht gelesen haben, oder? Oder zumindest gehört. Du erlebst, direkt und taeglich, wie sich deine Familie veraendert hat, wie sich alles nach deiner Schwester ausgerichtet hat. Deine Eltern haben vermutlich nur Kummer und Angst, deine Schwester ist der taegliche Mittelpunkt, weil keiner weiß: wird sie es packen, oder wird sie immer damit zu kaempfen haben - jeder möchte ihr helfen usw. - vielleicht sehen sich auch manche schuldig in deiner Familie...? Und du hast das Gefühl, du bist die Einzige, die nicht die Schuld bei sich selbst suchen möchte, sondern auch einen Teil davon der Schwester abgibt - und ich finde auch zurecht.

Ich verstehe deine Ambivalenz - eine wirklich schwierige Situation...
Auf der einen Seite bekommst du taeglich vermittelt, dass alle sich um deine Schwester kümmern und dies auch sollen - nur du kannst es nicht so, wie es von dir verlangt wird?
Du musst dies auch so nicht. Ich bin mir sicher, deine Schwester freut sich, wenn du für sie da bist, aber tu das auch nur soweit, wie du es willst, wie es für dich selbst gut tut. In so einer Situation ist es wichtig, dass du auch an dich denkst, du kannst nur soweit da sein, wie es für dich selbst gut ist - wenn es dir anders zu viel ist, du nicht das nötige Verstaendnis so aufbringen kannst - ist das okay - du musst nicht! Ich sage dir das wirklcih: DU MUSST NICHT!

Ich bin mir sicher, dass es dir und auch deiner Schwester aber gut tun würde, wenn du ihr einen ehrlichen Brief schreiben würdest - mit ehrlichen Gedanken, naemlich diesen hier: schreib ruhig rein, wie du dich fühlst, wie du das Gefühl hast, dass euer Verhaeltnis sich veraendert hat, dass du ihre Krankheit so nicht ganz nachvollziehen kannst... Ich glaube, sie würde sich freuen.


Ich gebe dir bis zu einem gewissen Grad recht, dass man mit Willen eine Menge erreichen kannt, nur bei dieser Erkrankung reicht der Wille alleine nicht mehr aus, denn der Wille wird nicht von einem "gesunden" Kopf gesteuert, sondern von einem, wo eine andere Stimme mitspricht. Stell es dir so vor, wie ein Maennchen im Kopf, das staendig, wenn du einen Entschluss gefasst hast, dir klar macht, dass das verkehrt ist, dass du das und jenes nicht darfst usw. Deine Schwester kann sich da alleine nicht mehr wehren - deswegen ist es gut, dass sie Hilfe angekommen hat!

Vielleicht magst du ich ein wenig informieren und schauen, wie die Gedanken deiner Schwester sein könnten, wie du sie ein wenig besser verstehen kannst, was in ihrem Kopf so vor sich geht:
http://mein-kummerkasten.de/index.php?ebene=Suche&kw=magersucht
http://mein-kummerkasten.de/Soforthilfe/23/Hilfe-ich-fuehle-mich-so-dick.html

und hier noch was extra für dich, damit du deine Schwester ein wenig verstehen kannst - und ein klein wenig einen Einblick bekommst:



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Die Essstörung - meine beste Freundin

Es hat sich vieles, sehr vieles geändert, seitdem ich dich kennen gelernt habe und du mir so wichtig wurdest.
Anfangs viel es mir noch sehr schwer durchzuhalten, auf deine Vorschläge einzugehen und diese dann zu verwirklichen. Natürlich konnte ich nicht alles auf einmal verwirklichen und deinen Forderungen gerecht werden. Irgendwie war es schon fast eine Herausforderung sich mit dir einzulassen. Doch wie du siehst hast du mich immer mehr und mehr eingenommen und wir sind zusammengewachsen ? fast schon unzertrennlich. Normalerweise wollte ich nie jemanden, der mir nur noch wichtig ist und sonst keiner. Von besten Freundschaften und sonst völliger Vernachlässigung anderer Menschen hab ich noch nie sehr viel gehalten. Und jetzt habe ich dich selbst als beste Freundin gewonnen!
Du bist immer dort, wo ich bin, entscheidest vieles für mich und nicht ich bin es selbst, die bestimmt! Manchmal stört mich das vielleicht, aber durch dich und deine Ideale wird mir auch einiges erleichtert und die Entscheidung abgenommen! Ich weiß, was richtig und falsch ist und muss nicht erst nachdenken! Du hast deine klare Linie, an die man sich hält und dann sollte nichts falsch gehen! Sobald ich von dieser abweiche kommt alles aus dem Lot! Ich weiß nicht mehr weiter und wenn ich mich wieder an dich klammern kann, dann funktioniert es wieder! Ich kann deine Ziele, die zu meinen geworden sind, wieder verwirklichen.
Du gibst mir auch jede Menge. Du forderst nicht nur; ich glaube sonst hätte ich mich nie auf eine solche Freundschaft eingelassen! Durch dich habe ich feststellen können, dass ich diejenige bin, die bestimmt, wer das Sagen hat! Selbst wenn du mir einredest, ich muss meinem Körper und meinem Kopf sagen, was er zu tun hat, letztendlich bin ich es noch immer, die es durchzuführen hat und sich daran hält! Ich bin stark und schaffe es zu verzichten, auf Dinge, die lebensnotwendig sind! Für dich und auch für mich, aber für eine gewisse Zeit nicht so sehr, wie für die anderen Menschen. Wir zwei zusammen schaffen es durchzuhalten und auch manchmal die schweren Momente zu bekämpfen! Momente, wo mein Verstand anders denkt wie du es möchtest!
Doch der Verzicht, den ich durch dich kennen gelernt und auch lieben gelernt habe, er zeigt mir eine Stärke, die ich habe. Ich erreiche etwas, was ich mir als Ziel gesetzt habe, schaffe es sogar noch weiter und kann mir neue Ziele setzen.
Es ist nicht immer leicht deinen Forderungen gerecht zu werden und sie zu erfüllen, aber hat man es dann mal geschafft, so bin ich stolz auf mich.
Deine Freundschaft zu erringen war am schwersten. Bis ich das erste Mal gemerkt habe, dass nicht nur ich geben muss, sondern auch du mir ein wenig Erfolg zeigst und mich auch anerkennst, hat es lange gedauert. Von dir kam anfangs gar nichts, ich musste immer beginnen, ich musste mich nach dir richten, du hast keinen Schritt auf mich zugemacht! Doch mit der Zeit hast du mir die ersten kleineren Erfolge aufgezeigt und warst nicht mehr ganz so verschlossen! Ich hab endlich mal eine Bestätigung deinerseits bekommen.
Was mich so an dir zu faszinieren scheint zu haben, weiß ich nicht! Es kam ja immer alles nur von mir. Wie ich mich auf diese Freundschaft einlassen konnte, ich weiß es nicht. Aber deine Macht war einfach da und diese Macht, die von dir ausging, die hast du mir gelernt auf mich zu übertragen, damit ich Macht über meinen Körper ausüben kann.
Du hast mir eine Macht von mir gezeigt!


Die Essstörung ? meine ärgste Feindin

Es hast sich vieles, sehr vieles geändert, seitdem ich dich kennen gelernt habe und du mir so wichtig wurdest.
Anfangs sah ich dich noch als neue Herausforderung an. Wollte es mit dir aufnehmen. Nur nachdem ich mehr und mehr gemerkt habe, dass du mich immer mehr einnimmst und ich immer mehr abhängig von dir zu werden scheine, auf einmal war es nicht mehr positiv. Nur deine Macht und dein Druck war auf einmal so groß, dass ich mich nicht mehr dir entgegen setzen konnte. Du hattest die Macht über mich und ich musste das tun, was du wolltest. Habe mich immer mehr dir angepasst und mein Denken nach dir gerichtet! Irgendwie hast du mir keinen Freiraum und Platz für mich selbst gelassen.
Überall warst du um mich herum. Ich war nie mehr alleine. Ständig warst du anwesend. Wie ein Schatten von mir selbst hängst du an mir dran, lässt mich nicht los und verfolgst mich ständig! Ich fühle mich nicht mehr frei. Kann nichts mehr alleine entscheiden, weil du mir alles zuflüsterst, mir ins Gewissen redest, was ich zu tun habe und ich nicht mehr die Kraft aufbringe mich dir entgegenzusetzen. Deine Dominanz ist mir zu groß geworden. Ich fühle mich nicht mehr als selbstständigen Menschen, der für sich selbst entscheiden kann. Viel mehr fühle ich mich wie jemand, der nur noch das tut, was eine andere Stimme ? in dem Fall du ? ihm sagt!
Mich stört es total, dass du ständig um mich herum bist. Seitdem ich mich so sehr an dich geklammert habe und ich nicht mehr von dir los komme, hat sich auch so vieles verschlechtert. Dinge, die ich früher in kurzer Zeit machen konnte, brauchen jetzt Ewigkeiten. Ich lasse mich durch dich ständig ablenken. Kann mich auf meine Schulsachen nicht mehr konzentrieren, weil meine Gedanken nur noch um essen und Essen vermeiden kreisen und ich nur noch mit rechnen und Kästchen zählen beschäftigt war. Das Konzentrieren auf das ?bloß nicht versagen? ist so anstrengend gewesen, dass einfach kein Platz mehr in meinem Kopf war für andere Dinge.
Du hast mich so sehr verändert! Durch dich habe ich so oft lügen müssen. Lügen, die mir jetzt im Nachhinein so weh tun, die mich auch traurig machen, weil sie nicht zu mir passen, weil ich nicht so ein Mensch sein will und bin. Lügen, nur um Essen zu meiden; Lügen um sich nicht mit anderen zu treffen, weil du mir die Lust genommen hast und weil das Konzentrieren nicht zu versagen nicht mehr möglich gewesen wäre; Lügen über Lügen. Es tut so weh und ich weiß nicht, wie ich es wieder gut machen kann. Einzig und alleine nur dadurch, dass ich es nicht mehr tu, was mir jetzt ein Glück gelingt! Ich habe es wenigstens ein wenig geschafft mich gegen dich zu stellen!
Du hast mir auch meine anderen Freunde weggenommen. Ein Glück ist deren ihre Freundschaft eine, die echt ist, die hält! Ein Glück lassen sie sich nicht so sehr abwimmeln und halten noch zu mir, helfen mir mich gegen dich zu stellen und endlich mich von dir trennen zu können.
Am gemeinsten bist du, wenn du mir ständig ein schlechtes Gewissen mir und meinen von dir übernommenen Idealen gegenüber machst. Du weißt genau, dass du mich damit noch immer am meisten binden kannst und ich da noch eine wahnsinnig große Schwachstelle habe. Aber irgendwann schaffst du es auch nicht mehr mich dort noch zu treffen, dafür habe ich genug Menschen, die mir helfen. Du bist nicht ständig mit mir alleine, es gibt fast überall jemanden, der mir hilft, sich gegen dich zu stellen ? in der Schule, daheim.
Sonst war ich immer ein Mensch, der fröhlich war, der Spaß hatte. Seit ich dich kenne hat das alles mehr und mehr abgenommen. Du hast mich verändert und nicht gerade positiv!
Vor allem hast du noch das schönste für mich gegen mich verbündet! Der Sport war auf einmal nicht mehr mein Freund, du hast ihn zu meinem Feind gemacht. Aber auch nicht mehr lange, ich schaff es schon wieder, dass meine liebste Freizeitbeschäftigung mir wieder Spaß macht!
Du hast mich einfach nur zerstört!

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Ich wünsche dir alles Gute, denk du auch weiterhin an dich, denn das ist ganz wichtig, dass es dir selbst auch gut geht.
Ich würde mich über eine Antwort von dir freuen!
Lg Andrea