Problem von Anonym - 21 Jahre

Barrieren vor den einfachsten Problemen!

Hallo liebes Kk-Team.

Ich schreibe euch, weil ich einfach verzweifelt bin. Ich hab das Gefühl der Hilflosigkeit, weil ich einfach NICHTS gegen meine Probleme tun kann.

1. Schüchternheit. Wahrscheinlich bin ich so erzogen worden. Auf jeden Fall will ich nicht mehr so sein! Ich habe schon
*über Jahre mit einem pädagogischen Mitarbeiter zusammen gearbeitet, der mich beraten hat und mir Aufgaben für jede Woche gegeben hat
*ein halbes Jahr 40 Stunden in der Woche eine betreuerische Tätigkeit ausgeübt
*Jetzt will ich es mit Nachhilfe Geben versuchen. Doch bisher hat sich noch keine einzige Person gemeldet. Die Flyer die ich verteile, werden aus mysteriösen Gründen immer abgemacht. Die Nachhilfe-Internet-Seite, auf der ich mich angemeldet hab: da hab ich zwar besucher, aber in 3 Wochen keine einzige Anfrage bekommen.
Und immer noch sagen mir alle dass ich zu schüchtern bin. Ich will das nicht mehr sein. Ich will dieses Problem endlich loswerden. Ich will nicht unter der Erziehung meiner Eltern leiden müssen.
Und ich habe das Gefühl, dass nichts klappt. Und ich weiß ehrlich gesagt auch nicht, wie ich zielgerichtet dagegen vorgehen kann!

2. Hab kein Hobby.
*seit einiger Zeit (1 Jahr) beschäftige ich mich mit Programmierung. Doch da treten dann immer Verständnisfragen auf, die mir keiner beantworten kann, die in keinem Buch stehen, die nicht im Internet stehen. Und das raubt mir noch den letzten Nerv, weil es einfach nirgendwo steht. Ich wollte eigentlich auch einen Programmierkurs geben, um meine Schüchternheit zu überwinden, wenn ich erstmal fit in C++ bin. Doch wenn ich mit jemandem darüber rede, wird mir immer gesagt, mir würde das tiefere Verständnis fehlen. Es sind immer so Sachen, die ich anscheinend nicht erreichen kann, die ich nicht direkt anpacken kann. Was soll das heißen tieferes Verständnis ? Wenn ich diese Person das dann immer gefragt habe hab ich immer nur eine schwammige Antwort bekommen. Wie soll ich denn meine Probleme lösen, wenn ich nichtmal genau weiß, an welcher Stelle man zupacken muss ? Und so ist es bei all meinen Problemen!

3. Versagensängste beim Studium
Bald fängt mein Studium an und ich hab riesige Versagensängste. Meine Leistungen im Abitur hatten ganz am Ende einen leichten Einbruch. Das war damals eine negative Überraschung für mich. Und meine Familie reitet jetzt die ganze Zeit nur noch auf dem Abitur rum, besonders mein Vater. Er wird auch noch drauf rumreiten, wenn ich mein Studium abgeschlossen hab. Auch hier ist die Lösung des Problems wieder unerreichbar.

Das ist mit diesen Probleme irgendwie so, als wären sie verschlossen in einer Truhe. Wenn sie erreichbar wären, könnte man sie wohl mit zielgerichteter Arbeit sehr einfach lösen. Doch bei mir scheint sich immer irgendwas dazwischen zu stellen. Sei es meine Familie, sei es die Unwissenheit, wie ich überhaupt an diese Probleme herangehen soll, sei es die fehlende Lösungsmöglichkeit (z.B. dass sich einfach keine Nachhilfeschüler melden). Immer ist es irgendeien Kleinigkeit, die mir dann anscheinend verbietet, die Probleme anpacken zu können. Und selbst wenn ich viel Arbeit investiert habe. Am Ende hat es immer nichts gebracht bisher. Ich weiß wirklich nicht mehr, was ich noch tun soll, damit ich die Sachen endlich vom Tisch hab. Momentan sitze ich den ganzen Tag nur noch rum, weil ich nicht weiß was ich noch tun könnte weil alles immer schiefgelaufen ist bisher und keinen Erfolg brachte. Mein Gott was soll ich denn noch machen ? Soll ich drauf warten dass die Probleme sich von alleine lösen ? Ganz sicher nicht! Doch genau den Eindruck vermitteln mir bestimmte Personen immer. Sie geben mir den Ratschlag, besser erst gar nichts gegen die Sachen zu tun und alles so hinzunehmen wie es ist. Ich will endlich dass sich eine messbare Änderung einstellt. Doch wie kann man das überhaupt messen ? Wie soll ich denn messen, ob meine Schüchternheit abgenommen hat ?

Momentan bin ich mit meinem Leben einfach nur noch überfordert.


Danke im Voraus und Freundliche Grüße.

Marie Anwort von Marie

Lieber Ratsuchender,

zunächst einmal bin ich wirklich beeindruckt von der Hartnäckigkeit, mit der du bei uns um Hilfe gebeten hast.

Ich zähle im Moment achtzehn Beiträge von dir, in denen du uns deine Probleme immer und immer wieder geschildert und um Antwort gebeten hast. Und du bist nie ausfallend geworden (wie es leider viele hier tun) in Richtung "Ihr interessiert euch doch einen Scheiß für mich, warum schreibt ihr mir nicht zurück" etc., sondern bist stets freundlich geblieben.
Dafür großen Respekt! Und: Danke!

Deine vielen Mails zeigen mir vor allem eins: Dass du, auch wenn es in deinen Beiträgen manchmal so klingt, noch nicht aufgegeben hast. Du hast keinen Bock, dich einfach mit allem, was dich stört, abzufinden. Du hast eine ganze Menge Kraft (momentan in Form von Wut) in dir, weißt aber nicht, wie du sie nutzen sollst, weil alles, was du bisher versucht hast, fehlgeschlagen ist und du daher denkst, dass es eh nichts bringt.
Dir fehlt einfach immer der Ansatzpunkt, um deine Probleme anzugehen.

Die gute Nachricht ist: Genau für dieses Problem gibt es Menschen, die dir helfen können. Fachleute, die dir Wege aufzeigen können, wie du die Probleme anpacken kannst. Die mit dir Ziele erarbeiten, diese dann in kleine Teilziele zerlegen und für jedes Ziel mit dir gemeinsam messbare Kriterien festlegen, an denen man eindeutig ablesen kann, was du erreicht hast und was noch zu tun ist. Und wenn irgendetwas tatsächlich nicht veränderbar ist, dann können sie dir zumindest Wege aufzeigen, wie du besser mit dem Unabänderlichen umgehen kannst. Diese Leute nennt man Verhaltenstherapeuten. Das ist eine spezielle Gruppe von Psychotherapeuten, die im Grunde genau das anbieten, was du suchst.
Denk einfach mal darüber nach, ob das vielleicht was für dich wäre. Ich glaube wirklich, dass es dir helfen könnte, zumal deine Probleme auch zu komplex sind, um sie mit einer einzigen Antwort hier über den Kummerkasten zu lösen.
Wenn das für dich infrage käme und du dich weiter dazu informieren möchtest, ist unsere Soforthilfe ein guter Anfang: http://mein-kummerkasten.de/Soforthilfe/31/Wie-finde-ich-einen-Psychologen.html
Falls du dich dafür entscheidest, mach am besten mit mehreren Therapeuten einen Termin aus, damit du eine gewisse Auswahl hast und wirklich jemanden findest, mit dem du arbeiten möchtest. Das kann eine Weile dauern - wenn du merkst: "Das passt nicht", dann suche nach jemand anderem.
Dort könntest du auch lernen, Schritt für Schritt deine Schüchternheit ein bisschen abzulegen - du wirst nicht von heute auf morgen der offenste Mensch der Welt werden, das wäre unrealistisch. Aber ein bisschen was kann man da auch im Erwachsenenalter noch ändern. Zu behaupten, dass man da gar nichts mehr machen kann, ist aus meiner Sicht falsch.
Würde es dir eventuell helfen, dich mit Menschen auszutauschen, die ähnliche Probleme mit ihrer Schüchternheit haben?
Dann wäre vielleicht auch eine Selbsthilfegruppe was für dich. Diese gibt es in verschiedenen Städten (einfach mal bei Google eingeben), direkt für Schüchterne und auch für Menschen mit Sozialer Phobie - das ist zwar nicht ganz dasselbe wie Schüchternheit, aber die Probleme, die sich daraus ergeben, sind dieselben.

Zum Thema Hobbies: Ich denke, das Hauptproblem liegt darin, dass du dich dabei zu sehr mit anderen vergleichst.
Wenn ich bei meinen Hobbies ständig hören würde, dass ich das nicht richtig mache, dass das so nicht geht etc., würde ich auch schnell die Lust verlieren. Es wird IMMER Leute geben, die das, was du tust, besser können als du oder sich zumindest für was Besseres halten.
Deswegen wäre mein Tipp, dich mal nach Sachen umzuschauen, die du ALLEIN FÜR DICH tun kannst. Ein Hobby ist ja nicht (nur) dafür da, um sich mit anderen zu messen, sondern vor allem sollte es etwas sein, das dir Freude bereitet. Das kann z.B. eine Sportart sein, die du alleine machen kannst, oder irgendetwas technisches, das du einfach nur deswegen tust, weil es dich interessiert und dir Spaß macht.
Ganz allgemein solltest du in deiner jetzigen Situation nach Dingen suchen, durch die du zumindest ein bisschen Lebensfreude wiederfindest, selbst wenn du nicht die Absicht hast, daraus ein festes Hobby zu machen. Das kann z.B. ein Spaziergang sein, das Lesen eines Buches, ein entspannendes Bad, ein Film, ein Puzzle, vielleicht auch Meditations- oder Achtsamkeitsübungen (hier ein guter Link dazu: http://www.achtsamkeit-lernen.de/achtsamkeit-uebungen/index.php).
Auch wenn du jetzt vielleicht davon ausgehst, dass das sowieso nichts bringt, möchte ich dir ans Herz legen, die verschiedenen Dinge zumindest mal auszuprobieren und zu schauen, ob sie deine Stimmung vielleicht ein kleines bisschen verändern können.

Zum Thema Abitur: Egal, was deine Familie sagt: nach dem Studium interessieren die Abinoten niemanden mehr. Sie sind nur relevant, wenn du ein Studienfach mit N.C. belegen willst. Danach werden die Karten neu gemischt, denn deinen späteren Arbeitgeber interessiert es nicht, wie gut du in der Schule warst, sondern nur, wie gut du in deinem Job sein wirst. Und das kann er am besten aus deinen Arbeitszeugnissen/Praktikumsbeurteilungen und aus den Noten im Studium ablesen. Die Abinoten sind da so ziemlich das letzte, worauf geachtet wird; da zählen selbst Händedruck und Aussehen mehr. Lass dir da von deiner Famlie nichts einreden.

Thema Nachhilfe: Dass sich noch niemand bei dir gemeldet hat, liegt vermutlich daran, dass jetzt Sommerferien sind. Da kümmert sich einfach niemand ernsthaft um Nachhilfe. Das würde ich jetzt nicht zu persönlich nehmen.

Thema Tinnitus: Ich denke, dein Arzt hat es sich da ein bisschen zu leicht gemacht; vielleicht wusste er es auch nicht besser. Es gibt zahlreiche Behandlungsansätze für chronischen Tinnitus (über Google findet man da eine ganze Menge) und ich kann mir nicht vorstellen, dass dir jemand schon im Voraus mir Sicherheit sagen kann, dass alle diese Ansätze bei dir nicht funktionieren werden.
Deswegen mein Rat: Wende dich mit diesem Problem noch einmal an einen (bzw. mehrere) HNO-Spezialisten und lass dich beraten. Es gibt da mit Sicherheit Therapiemöglichkeiten, die für dich infrage kommen.

Ich finde es gut, dass du nicht einfach resignierst und die Hände in den Schoß legst, sondern aktiv versuchst, deine Probleme anzugehen. Auch wenn das bisher nicht den gewünschten Erfolg gebracht hat, denke ich trotzdem, dass es der richtige Weg ist und du mit entsprechender Unterstützung durch andere deine Probleme in den Griff bekommen kannst!

Ich hoffe, dass dir meine Antwort zumindest in einigen Punkten weiterhelfen wird, und wünsche dir alles Gute!

Liebe Grüße,
Marie