Problem von Klara - 16 Jahre

Krebs und seine Folgen

Hallo!
Nachdem ich lange gesucht habe, habe ich endlich was gefunden, wo mir jemand auch eine ernst gemeinte Antwort gibt. Am Besten, ich rede nicht viel rum, sondern erzähle einfach.
Also. Vor mittlerweile zwei Jahren im März musste ich an einem Samstag plötzlich Blut spucken, so viel, dass ich keine Luft mehr bekommen habe. (Ich erzähle das, weil ich daran noch so oft denke) Meine Eltern haben einen Krankenwagen gerufen, wir sind direkt ins Krankenhaus gefahren.
Ich wurde am selben Abend noch in ein anderes Klinikum verlegt, weil die da irgendwie nicht die richtigen Mittel hatten oder so. ich musste mich nüchtern mehrere Tage etlichen Untersuchungen unterziehen, es wurde (meiner Meinung nach) ziemlich viel spekuliert, Verdacht auf geplatztes Äderchen bis hin zu Verdacht auf Tuberkulose. Dann kam nach einigen Tagen die Diagnose Krebs. In meiner rechten Lungenhälfte war in der Abzweigung der unteren beiden Lungenlappen ein bösartiger Tumor gewachsen.

Auf der Kinderkrebsstation sah ich Bea das erste Mal. Sie hatte Blutkrebs und Knochenkrebs und war schon mitten in der Chemo. Sie zehn Jahre und ich 14. Wir haben keine Worte gebraucht, um uns zu verstehen. Ich hatte eine Lungenspiegelung, dabei wurde Gewebe entnommen. Sie meinten, dass es warhscheinlich nicht gestreut hat. In der Zeit auf der Station waren wir wie eine große Familie. Abends hat Bea manchmal geweint, wenn ihre Mutter grad nicht da war. Und sonst haben wir sehr viel gelacht. Am Abend vor meiner OP hab ich meine Mutter gefragt, was Bea eigentlich hat. Und sie hat mir erzählt, dass Bea ein Beim amputiert werden muss.

An einem Dienstag wurde ich operiert. Statt den gesagten 5 Stunden wurden es 11 Stunden. Fragt mich nicht, was die gemacht haben. Ich war eine Woche auf der Intensiv. Als ich von der Intensiv gekommen bin, wurde Bea gerade das Bein amputiert. Ich habe sie nicht mehr gesehen, in meinem Krankenhausaufenthalt. Bei meinen Nachsorgeterminen hab ich Bea immer besucht. Ich hab ihr Dinge geschenkt, wir haben einfach nur gesessen und uns angeschaut. Ich mein, wir waren da noch 10 und 14! Wir sind uns in dieser Zeit einfach so unglaublich nah gewesen. Meine Mutter, ich, Bea und deren Mutter.

Und dann kam die Nachricht, dass Bea gestorben war. Mit elf Jahren. Und das ist (glaub ich) der Grund, warum ich schreibe. Ich kanns einfach nicht glauben. Sie wusste an dem Tag, dass sie sterben würde. Sie wollte noch mal alle sehen. Ihre Oma. Ihre Brüder. Die haben sie besucht. Sie wollte auch mich und meine Mutter sehen. Aber dazu hat die Zeit nicht mehr gereicht.

Meine Mutter und ich haben es nicht geschafft, auf die Beerdigung zu gehen. Dabei bin ich an diesem Tag nicht zur Schule gegangen. Wir haben es aber einfach nicht geschafft.
Und jetzt, ein Jahr später, muss ich trotzdem jeden Tag an sie denken. Ich weine viel, ich hab mit etlichen Freunden darüber geredet, mit meiner Mutter und und und. Mir hängt das langsam zum Hals raus. So oft hab ich mir schon den Ruck gegeben und die Reaktion war immer "oh". Und dann: "Lass was anderes machen." So in der Art. Und doch bin ich noch nicht drüber weg. Manchmal wache ich auf und hoff, dass das nur ein Traum war. Aber dann merk ich, dass mein Oberkörper rechts taub ist. (Weil die den aufgeschnippelt und den Tumor mir Lungenlappen rausgenommen haben) Und im Sommer im Bikini sehn alle meine riesige Narbe (ich find 30 cm schon sehr lang) und die vier runden Narben von den Drenagen. ich sag nicht, dass die Narben mich stören würden. Ich find, mittlerweile gehörts auch einfach zu mir. Mein eigentliches Problem ist, dass ich nicht weiß, WAS mein Problem denn jetzt eigentlich ist.
Ich lebe, ich hab den Krebs besiegt, ich hab ne mehr oder weniger liebe Familie und Freunde. Meine Geschichte find ich nicht schlimm, ich glaub, Bea ist so mein "Hauptproblem". Irgendwie wissen ja alle, dass es mir innen nicht gut geht, aber nie sagt jemand was. Und wenn ich mal anspreche,von wegen: Ja..mh.. Psychologe und so, wird gesagt, Ja, okay,machen wir mal. Oder so. Und dann wirds nie gemacht.

Meine Mutter soll sich keine Sorgen machen, für sie war meine Krankheit ja schlimmer, als für mich. Für uns beide ist aber der Tod von Bea schrecklich.
Ich bin denk ich depressiv, ich will keine dummen Thesen aufstellen, aber ich hab einfach keinen Spaß mehr am Leben Und jetzt soll mir keiner irgendwas vom Suizid erzählen. Ich schreibe das nur, weil ich mich besser beschreiben will, sozusagen. Und keine Angst, ich bin sowieso zu feige. Ich bin auch MANCHMAL relativ zufrieden, aber dann brauch ich nur einmal nachzudenken, und alle gute Laune ist wieder im Eimer. Hinzu kommen halt noch diese normalen Probleme, wie "Wozu das Ganze, Angst, dass ich es nicht schaffe, dass ich schlecht bin, warum leb ich, usw."
Aber ich denke, das gehört zur normalen Entwicklung.

Ach, ich weiß nicht, ist jetzt doch alles ziemlich verworren, tut mir leid. Ich weiß nicht, ob jemand das hier versteht, mir eine Antwort geben kann, ich weiß nicht, ob ich das in die richtige Kategorie reingepackt hab und so weiter. Ich hab so viel geschafft, ich bin auch so viel erwachsener geworden. Aber ich kann mir trotzdem nicht selber helfen. Und mit dem Psychologen: Es wär ja sowieso wie mit jedem anderem: "Oh." Einmal erzählt, und dann wars das. Ich kann ja nicht jeden Tag nen neuen Psychologen nehmen. Außerdem weiß ich nicht, wie ich das mit meiner Mutter regeln kann. Sie ist auch schwer krank und hat schon genug Sorgen mit meinem Bruder. Und mein Vater ist überarbeitet. Also meine Familie scheidet da schonmal aus. Eine Weile habe ich auch ziemlich viel geschrieben, das hat mir geholfen, aber mittlerweile hilft das nicht mehr.

Ich danke denen, die sich die Mühe gemacht haben, das hier zu lesen. Ich hoffe, es klingt nicht irgendwie selbstmitleidig oder wie man das auch nennt, ich möchte einfach nur leben, ohne die ganze Zeit zu weinen, ohne mich dauernd zu fragen, wo der Sinn vom Ganzen ist, wenn man sowieso von einem Moment auf den anderen sterben kann. Vielleicht kann mir da ja jemand helfen.
Und eins möcht ich noch "klarstellen": Ich bin irgendwie froh, Krebs gehabt zu haben. Ich habe so Bea kennengelernt und bin irgendwie "weiser" geworden. Das versteht keiner, wer hatte schon gerne Krebs? Aber ich möchte die Erfahrung nicht wieder hergeben.
So. Also nochmal dankeschön, auch dafür, dass es sowas überhaupt gibt. Ich bin kein wahnsinniges akutes "Problemkind", also wenn es jemand wichtigeren gibt als mich verheulte - (wahrscheinlich) halbpubertierende -wirres Zeug labernde Jugendliche, dann bitte - und das ist ernst gemeint - kümmert euch um die "akuten Fälle", denn ich hab dieses Problem ja seit zwei Jahren, seit ich die Diagnose: Krebs bekommen habe :)
Ich würde mich trotzdem freuen, wenn jemand einfach nur schreiben würde, dass er mich versteht und mir ein bisschen hilft. Und sonst renkt sich das ja vielleicht in drei Jahren wieder von selber ein, wenn ich offiziell als "geheilt" gelte ;)
LG, Klara

Pia Anwort von Pia

Liebe Klara,
schön, dass du dich öffnen konntest und dein Problem so genau beschrieben hast. Es tut mir wahnsinnig leid, dass du schon so viele schlimme Dinge erleben musstest.

Es ist ziemlich schwer auf dein Problem zu antworten und dies hier werden keine Lösungen sein. Dennoch möchte ich dir ein paar Ratschläge geben und ich hoffe, dass sie dir ein wenig helfen.

Du hast mit deinen 16 Jahren schon ziemlich viel erlebt und ich bewundere dich, dass du das alles gut überstanden hast. Den Krebs zu besiegen ist keine kleine Sache und du kannst stolz auf dich sein, dass du es geschafft hast. Du schreibst, dass du froh bist Krebs gehabt zu haben und das kann ich ein wenig verstehen. Dort hast du deine wunderbare Freundin Bea kennengelernt und wie du schon sagtest bist du „weiser“ geworden. Nun weißt du, was das Leben ausmacht, dass man glücklich sein sollte, gesund zu sein. Tod und Leben liegen so nah aneinander. Du musstest diese Erfahrung machen, ob sie nun gut oder schlecht war.

Schön, dass du so einen tollen Menschen wie Bea kennenlernen durftest und so eine enge Beziehung zu ihr aufbauen konntest. Dadurch ist klar, dass ihr Tod dir so nahe kommt. Erst recht, weil sie noch so jung war. Es ist natürlich, dass dich das nicht mehr loslässt und du noch 2 Jahre danach so oft daran denken musst. Ich denke auch, dass du es nicht richtig verarbeiten konntest und deshalb Depressionen entwickeln hast. Die ganzen Fragen in deinem Kopf kommen, da du nicht weißt, wie du mit deiner Vergangenheit umgehen sollst. Es ist wichtig, dass du das alles verarbeitest. Das Trauern ist nichts, für das man sich schämen sollte. Es wäre doch eher traurig, wenn man einem solchen wichtigen Menschen nicht hinterhertrauert.
Hier noch ein Link zu dem Thema Tod:
http://mein-kummerkasten.de/Soforthilfe/13/Wie-gehe-ich-mit-dem-Tod-um.html

Dennoch solltest du immer an erster Stelle an dich denken. Das Leben geht weiter und es ist wichtig, dass du wieder zu dir findest. Bea hätte bestimmt nicht gewollt, dass du nur noch traurig bist und keine Freude mehr am Leben hast. Du hast das Leben und du solltest es nutzen. Es gibt so viele schöne Dinge im Leben und du wirst noch sehr vieles erleben dürfen! Kann es sein, dass du ein schlechtes Gewissen hast, wenn du glücklich bist? Das solltest du nicht haben! Lebe dein Leben und auf eine Weise für Bea mit. Genieße jeden Tag und versuche positiv zu denken.

Ich denke auch, dass deine Narben, die dich stören, nicht nur äußerlich sind. In deiner Seele sind viel viel größere Narben, welche nicht heilen wollen. Es ist wichtig, dass du professionelle Hilfe in Anspruch nimmst. Es ist nichts Schlimmes zum Psychologen zu gehen. Wenn du Bauchschmerzen hast, dann gehst du zum Arzt. Wieso solltest du nicht zum Psychologen gehen wenn du „Seelen-Schmerzen“ hast? Rede mit deinen Eltern ganz offen darüber, dass du denkst, dass du deine Erlebnisse noch nicht verarbeiten konntest und gerne in Therapie gehen möchtest. Falls sie dich nicht unterstützen wollen oder können, dann nimm es selbst in die Hand. Gehe zu deinem Hausarzt und schildere ihm, dass du gerne in Therapie möchtest. Danach hast du bis zu 5 Probestunden in denen du deinen Psychologen und seine Behandlungsweisen kennen lernst. Nehme dir Zeit bei der Auswahl deines Psychologen, denn nur wenn du mit ihm klar kommst, kann dir geholfen werden. Außerdem kannst du dich auch an deinen Vertrauenslehrer wenden.
Dieser Link könnte dir bei der Suche helfen:
http://mein-kummerkasten.de/Soforthilfe/31/Wie-finde-ich-einen-Psychologen.html

Ein Psychologe wird mehr sagen, als nur ein „oh“. Er wird dir helfen wie du mit dem Erlebten umgehen kannst und wieder glücklich wirst. Zusammen mit ihm wirst du Lösungen entwickeln und auch an deiner Persönlichkeit arbeiten. Ich denke, dass du kein großes Selbstwertgefühl hast, da du dich, schon mit deiner Anfrage in diesem Forum, hinten anstellst. Du bist wichtig und deine auch Probleme sind ernst und wichtig. Du bist es wert, dass man sich deine Gefühlslage anhört und dir hilft. Das Gefühl, dass alle wissen, dass es einem nicht gut geht, aber trotzdem keiner hilft, ist schrecklich. Aber es ist auch wirklich schwer, als Laie, Lösungen für deinen Kummer zu finden. Deshalb ist es wichtig, dass du in professionelle Hilfe gehst. Lasse dich nicht abwimmeln, sondern schau, dass du dein Problem jetzt angepackt und es nicht wieder verschoben wird.

Ich wünsche dir nur ganz ganz viel Kraft, dass du dein Problem wirklich anpackst und dir Hilfe suchst. Ich bitte dich, dass du diesen Schritt machst, denn du bist sehr wichtig! Je länger du wartest, desto schwieriger wird es. Ich hoffe, dass ich dir ein wenig helfen konnte.

Alles Gute für dein weiteres Leben.
Viele Grüße,
Pia