Problem von Anonym - 29 Jahre

Ich hasse mein Kind

Hallo lieber Kummerkasten.
Die Überschrift ist hart, ich weiß.
Aber zu meinen Kummer...
Ich bin glücklich mit meinem Mann und ich liebe ihn sehr.
Am Anfang dachte ich ein Kind würde unsere Beziehung perfekt machen, weil mir immer eingeredet wurde, du musst Kinder kriegen, deine Innere Uhr läuft ab und bla!
Und irgendwann hat sich der Gedanke dann eingeschlichen und ich habe mir eingeredet das es unser Glück perfekt machen würde... es kommt wie es kommt und ich wurde schwanger. Die ersten 2 Monaten habe ich mich noch nun gefreut wäre übertrieben... es war ok, sagen wir mal so. Die Schwangerschaft wurde durch Diabetes und Schwangerschaftsdepressionen überschattet und ich dachte an Abtreibung, habe es aber nicht übers Herz gebracht... mein Mann war wunderbar in dieser Zeit, hat mich getröstet und unterstützt wo er konnte. Er war und ist der einzige Grund wieso ich heute noch bin. Der Tag der Tage kam, sie wurde per Kaiserschnitt geholt und meine Gefühle fuhren Achterbahn. Ich war froh das sie gesund war, mehr aber auch nicht. Ich habe mich 2 Tage später selbst entlassen, keine Hebamme und nichts. Als wir dann nachhause kamen, fing es an. Ihr schreien macht mich aggressiv, dass ich sie am liebsten an die Wand klatschen könnte oder mir was ins Hirn rammen könnte, nur damit ichs nicht mehr hören muss. Ich möchte mein altes Leben zurück. Ich selbst halte mich für keinen guten Menschen und habe immer gesagt ich möchte keine Kinder. Ich bin ein Freigeist und möchte tun was ich will und gehen wohin ich will ohne Verpflichtungen. Ich wünsche mir einfach das mein Mann und ich wieder alleine sind. Mein Mann meint ich hätte eine Wochenbettdepression und würde nur deshalb so denken... er kennt meine Gedanken und weiss das ich sie nicht mag, er unterstützt mich auch, nur ist er von 13-23 Uhr arbeiten und ich alleine mit ihr... ich bin hoffnungslos und mittlerweile auch schon wieder in der Lage in der ich mich selbst verletze und Suizidgedanken habe. Ich hasse mich selbst so sehr dafür, dass ich so dumm war und mich habe so bequatschen lassen, gerade bei diesem Thema.
Wenn ich sie zu einer Pflegefamilie geben würde, hätte ich ausser meinen Mann niemand mehr, da ich aufgrund von meiner Sozialphobie eh nur meine Familie und ihn habe. Meine Familie würde das nie verstehen und den Kontakt abbrechen. Ich habe bereits versucht mit Psychologen ins Gespräch zu kommen, aber ich wohne in einem Dorf und jeder mit dem ich (also eigentlich mein Mann) telefoniert hat ist ausgebucht oder überlastet. Ich bin hoffnungslos und weiss nicht mehr weiter. Jeder Tag ist beschissener als der vorherige und ich wünsche mir nichts sehnlicher als endlich aus diesem Alptraum aufzuwachen.
Vllt kann mir jemand da draußen einen Tipp geben oder helfen...

Nuala Anwort von Nuala

Liebe Unbekannte!

Deine Beschreibung klingt sehr dramatisch und traurig. Nicht nur, dass du ziemlich alleine dazustehen scheinst, sondern auch die Verkettung aller tragischen Umstände sind sehr ernstzunehmen.

Ich habe selbst ein Kind und weiß absolut, was du meinst. Ich kann verstehen, wie sich das anfühlt. Ganz ehrlich. Und trotzdem liebe ich mein Kind. Das ist kein Widerspruch!
Es ist die eine Sache, sich zu fragen: Warum ist es so? Ist es, wie dein Mann vermutet, eine Wochenbett-Depression? Oder ist es noch mehr? Kann es sein, dass du nicht deine Tochter hasst, sondern deine Entscheidung, die du nun bereust? Dass du die Gesamtsituation verabscheust? Und das nun auf dein Kind projizierst, das vielleicht lediglich der Auslöser ist? Bildlich gesprochen: Sie hat den Stöpsel von der Flasche gezogen, jetzt entweichen ganz viele giftige Dämpfe.

Ich habe meine Zweifel, ob du diesen kleinen Menschen für sich genommen wirklich hasst. Sie hat dir nichts getan. Getan hast du etwas: Du bist dir selbst nicht treu gewesen. Das meine ich ohne Vorwurf! Ich schreibe das, weil aus dein Zeilen so ein fettes Bereuen klingt.
Wenn du es schaffen würdest, den Menschen von allen anderen Faktoren zu trennen, würdest du ihn nicht mehr hassen, richtig? Wenn sie zu einer anderen Familie gehören würde, würdest du sie bestimmt nicht hassen. Sie ist erst geboren, sie ist unschuldig. Sie hat dir nichts getan. Ich schreibe das deswegen so deutlich, weil du durchaus sehr viel dafür tun kannst, diesen Hass nicht noch mehr zu nähren.

Dass du die Umstände zum K*** verstehe ich absolut. Und ich bin mir sicher, dass viele Mütter so empfinden, wenn die Bedingungen so mies sind.

Eines wäre fair: Deiner Tochter ein Aufwachsen zu ermöglichen, das von Liebe und größtmöglicher Zuwendung geprägt ist. Das hat sie verdient.
Ich weiß, du hast ebenfalls verdient, es gut zu haben.

Du kannst jetzt Handeln, indem du deinen Kreis durchbrichst. Ich sehe folgende Schritte:

Schritt 1: Sprich sofort mit deinem Mann. Arbeit, Haushalt, Umfeld etc. ist jetzt EGAL! Er soll alles stehen und liegen lassen und dir zuhören. Sag ihm, dass du nicht mehr kannst. Es ist völlig unerheblich, was genau die Ursache ist - du willst aktuell und vielleicht sogar für immer nicht mehr mit deiner Tochter zusammen sein. Das musst du ihm sagen! Denn nur so könnt ihr schnellstmöglich Alternativen finden. Wenn möglich, sucht euch noch eine Hebamme, die euch regelmäßig daheim besucht!

Schritt 2: Du musst dich ganz dringend um psychiatrische Versorgung kümmern! Jetzt! Ich weiß nicht, ob du stillst, aber vielleicht ließe sich das trotzdem vereinbaren, indem du z.B. deine Milch abpumpst.
Du musst zur Ruhe kommen, mit Menschen reden können, dich sortieren. Du hast so viele psychische Baustellen, dass du gerade gar keine Mutter im eigentlichen Sinne sein KANNST, weil du erstmal ganz für dich selbst da sein musst!

Schritt 3: Hier geht es ans Eingemachte. Du hast berechtigte Gefühle und Wünsche, dein Mann aber auch! Er will seine Tochter bestimmt behalten - du hingegen willst das alte Leben mit ihm zurück. Das ist ein Dilemma, das nicht so ohne Weiteres aufzulösen geht. Du kannst ihm ja schlecht das Kind wegnehmen.
Also: Es gibt grundsätzlich nur die Varianten, dass er alleinerziehend wird und du dich im Hintergrund hältst. Dann wärst du biologisch noch die Mutter, aber im Alltag nicht von Bedeutung.
Oder ihr entscheidet euch beide für eine Adoptionsfreigabe eures Kindes. Vielleicht würde auch jemand aus eurer Familie die Kleine großziehen. Sprecht bitte mit dem zuständigen Jugendamt!
Oder ihr versucht, euch bestmögliche Bedingungen zu schaffen, damit ihr alle drei profitieren könnt.

Fakt ist: Ohne Tacheles reden geht es für dich nicht so weiter!

Schritt 4: Du lässt dich psychiatrisch begleiten. Ich glaube, das wäre viel mehr angezeigt als eine ambulante Psychotherapie. Diese kann im Anschluss erfolgen zur Nachbegleitung (da könntest du schon mal vorfühlen).
Als Tipp: Es gibt auch Heilpraktiker:innen für Psychotherapie, das könnte eine Alternative sein.

Ich will nicht dafür plädieren, dass du dein "Schicksal" annehmen sollst. Nein. Ich plädiere dafür, dass du so schnell wie möglich etwas unternimmst. Für dich, für dein Kind - und auch für deinen Mann.

Ich bitte dich sehr, trotz deiner Abwehrgefühle deinem Kind nichts anzutun und ihm wenigstens etwas Hautkontakt und liebe Worte zu geben. Sie kann nichts dafür, dass es dir schlecht geht. Sie spiegelt dich vielleicht sogar, indem sie laut aufschreit - weil du dich genau so fühlst.
Falls du ein Tragetuch oder eine Tragehilfe hast, nimm diese - Babys fühlen sich darin meistens sehr wohl und schreien meistens dadurch weniger, weil man schneller merkt, was sie brauchen. Versuche, ihr wohlwollend gegenüberzutreten. Sie will dich nicht ärgern! Sie ist ein kleines hilfloses Wesen, das nichts dafür kann, dass es dir schlecht geht. Wenn du ihr deine Zuneigung nicht geben kannst (oder zumindest so zu tun, zu imitieren!), dann gib sie deinem Mann oder einer anderen Bezugsperson!

Dein Mann sollte jetzt nicht arbeiten bzw. nur reduziert. Er soll bei euch sein und sich kümmern! Du bist ja total allein, da können sich diese negativen Gefühle immer mehr aufbauen!

Wenn du akut Redebedarf hast, solltest du die Telefonseelsorge anrufen: 0800/1110111 oder 0800/1110222.

Wenn du merkst: Ich kann gerade nicht mehr, ich brauche Ruhe! Geh allein aus dem Zimmer, reagiere dich auf gesunde Weise ab (z.B. Igelball drücken, Chilischote kauen, Boxsack, gärtnern, etc.). Dann muss deine Tochter notfalls mal ein paar Minuten ohne dich sein und schreien. Das ist nicht schön, aber immer noch besser, als wenn du ihr Gewalt antust.

Für den Fall, dass du dir doch noch vorstellen kannst, deine Tochter in dein Leben zu integrieren, habe ich noch ein paar Worte für dich.
Ich bin auch ein Freigeist, durch und durch. Ich hatte und habe auch Schwierigkeiten, die Verbindlichkeiten des Mutterseins zu akzeptieren. Doch:
* Das Leben ändert sich sowieso permanent. Auch deine Paarbeziehung bleibt nicht die gleiche, sie verändert sich ebenfalls! Du weißt nicht, was in fünf Jahren ist. Vielleicht bist du mit deinem Mann dann nicht mehr zusammen (was ich euch nicht wünsche, nur hypothetisch). Ein Kind verändert vieles, aber das Grundlegende ist da - oder eben nicht. Ein Kind ist nicht schuld. Wenn vorher schon was im Argen lag, dann hat das Kind das höchstens aufgedeckt.
--> Seid ein gutes Team! Haltet euch, redet offen, nehmt euch so viel wie möglich ab! Und die Kleinkindzeit geht vorbei, dann wird es wieder angenehmer. Dann geht wieder vieles, was vorher undenkbar schien.
* Eine Beziehung muss sich immer erst entwickeln, auch zwischen Eltern und Kindern! Das darfst du nicht unterschätzen. Manche brauchen ihre Zeit.
* Ich kann als Individuum trotz kleinem Kind Freiheiten haben. Es ist zwar eine Umgewöhnung, doch in guter Absprache mit deinem Mann kannst du dir das, was dir am wichtigsten ist, möglicherweise bewahren.
Du musst auch längst nicht jeden Zirkus mitmachen, der angeblich gemacht werden muss - gehe da ganz nach deinen Vorlieben.
* Vielleicht würde es dir psychisch helfen, wenn du dich sterilisieren lassen würdest - so würde es bei einem Kind bleiben und du könntest es abhaken.

Zum Thema Regretting Motherhood habe ich schon mal was geschrieben. Und falls du sehr von Unterstützung im Alltag profitieren würdest, ist das interessant:
- https://mein-kummerkasten.de/331313/Bereue-es-Mutter-zu-sein.html
- https://mein-kummerkasten.de/331662/Ich-will-keine-Mutter-mehr-sein.html

Nun liegt es an dir, für dich einzustehen und dich aus deiner Lage zu befreien. Das kannst du und das schaffst du! Ohne Hass, ohne Abscheu. Mit Unterstützung. Mit Ehrlichkeit. Mit Ruhe und Geduld für alle.

Wie auch immer es für dich weitergeht: Ich wünsche dir aus ganzem Herzen alles Liebe!
Du kannst dich jederzeit wieder melden, ich antworte dir sehr gerne.

Sei gegrüßt,
Nuala