Problem von Alma - 24 Jahre

Soziale Schwierigkeiten und mangelnde soziale Kontakte

Hallo liebes KuKa-Team
Ich hoffe, ihr könnt mir einen Ratschlag geben.
Mein Problem ist folgendes:
Seit ich denken kann, habe ich Probleme in zwischenmenschlichen Beziehungen und überhaupt konsistente Beziehungen aufzubauen. Ich bin immer froh und erleichtert, wenn ich den Arbeitsplatz/Schule verlassen kann und für mich bin. So richtig bewusst, ist mir diese Erkenntnis in den vergangenen Monaten geworden. Sobald ich unter Menschen bin, fühle ich mich sehr unwohl, schäme mich, fühle mich ein Stück Dreck, nicht beachtet und wie ein Alien. So als ob alle wissen wie das Spiel funktioniert, ausser mir. Dennoch belastet mich die Situation und ich gehe immer wieder, wenn ich ausser Haus bin, auf die Toilette, um meine Tränen zu unterdrücken. Zuhause weine ich dann aber mehrmals in der Woche, weil ich die Tränen nicht mehr zurückhalten kann.

Paradoxerweise habe ich keine Probleme damit, eine Präsentation vor der Klasse (ich absolviere neben der Arbeit noch eine Art Fachabitur) zu halten, an einem Anlass vor Publikum zu moderieren oder auf der Bühne zu stehen und zu tanzen (habe fast zwei Jahrzehnte lang Tanzunterricht genommen).

Ich bin mitte 20 und merke, dass ich so gut wie keine Freunde habe und ich den Eindruck habe, den sozialen Anschluss verloren zu haben. Ich habe genau zwei Freundinnen, mit denen ich schon seit der Grundschulzeit befreundet bin und eine Freundin, die ich vor etwa fünf Jahren beim Feiern kennengelernt habe. Meine Freundinnen sehe ich jedoch sehr unregelmässig, alle wohnen in unterschiedlichen Städten und sind entsprechend mit Beruf/Studium beschäftigt, was es auch schwierig macht, Treffen zu vereinbaren.

Vor allem der Umgang mit Gleichaltrigen und jüngeren Personen fällt mir sehr schwer - wenn ich in der Schule etwas sage, hört mir keiner in der Klasse zu, bei Gruppenarbeiten werde ich nicht einbezogen oder Dinge werden hinter meinem Rücken besprochen, als ob ich nicht anwesend wäre. Mit diesen Klassenkameraden möchte ich keine Freundschaft schliessen, der "Vibe" fehlt - dennoch habe ich mir erhofft, dass die atmosphäre einfach etwas kollegialer/familiärer ist. Diese Problematik habe ich bereits in meiner Erstausbildung erlebt und es fühlt sich krass an, dass sich das wiederholt.

Auch auf der der Arbeit - habe gerade die Abteilung gewechselt - mache ich ähnliche Erfahrungen. Dabei versuche ich mich auf die Leute einzulassen, stelle Fragen, versuche unvoreingenommen zu sein, versuche mich einzubringen, zuzuhören und doch kommt nichts zurück. Soziale Situationen mag nicht nicht so, da ich eben wie ein Alien fühle und mir immer im Voraus zurechtlegen muss, was ich wie und wann sagen könne. Dennoch versuche mir immer, Mühe zu geben. Was mache ich falsch? Mit den Lehrpersonen und Vorgesetzten verstehe ich mich jedoch sehr gut und für mich sind diese Gespräche jeweils auf Augenhöhe.

Mir geht es nicht darum, mit der ganzen Welt befreundet sein. Ich wünsche mir einfach ein paar neue loyale Freunde, mit denen ich regelmässig gemeinsam was unternehmen kann und meine Interessen austauschen kann. Ich verbringe viel Zeit alleine, was mir auch guttut und meine Batterien auflädt. Allerdings glaube ich an den Punkt anzukommen, wo es nicht mehr "gesund" ist, so viel Zeit alleine zu verbringen. Ich gehe auch ab und an alleine an Konzerte oder zum Feiern, besuche Workshops zu Themen, die mich interessieren, bin in einem Sportverein. Wenn ich dann Leute kennenlerne, bleibts bei einer oberflächlichen Bekanntschaft. Auch habe ich bereits versucht, alte Bekannte anzuschreiben und auf einen Kaffee zu treffen - leider auch nicht geklappt. Online möchte ich keine Menschen kennenlernen, weil sich das für mich nicht natürlich anfühlt und nicht gerne lange hin und her schreibe.

Was kann ich in dieser Situation zu tun? Ich mache seit 2015 Therapie (auch wegen anderen Baustellen), was mir leider bisher nicht geholfen hat - aktuell besuche ich deswegen auch keine Sitzungen. Kein Therapeut scheint mich zu verstehen, obwohl ich meine Probleme klar formulieren kann und auch mit meinen persönlichen Tagebucheinträgen arbeite. In schwierigen Zeiten, wie jetzt (u.a. Krebserkrankung in meiner Familie) merke ich, wie ein stabiles soziales Umfeld unterstützend wirken könnte.

Danke fürs Durchlesen und eure Arbeit im Allgemeinen!
Lg Alma

Nuala Anwort von Nuala

Liebe Alma,

es ist schön, dass du dich an uns gewandt hast, auch wenn eine schriftliche Einschätzung immer nur bedingt helfen kann. Ich tendiere sogar dazu, dir neben einer telefonischen Beratung (z.B. via. Telefonseelsorge o.ä. zu einer psychosozialen Beratung in einer hiesigen Beratungsstelle zu raten. Einfach weil ich auch selbst beim Lesen deines Anliegens gemerkt habe, dass ich dich einfach direkt mal erleben müsste, um mir wirklich einen guten Eindruck deiner Situation und deiner Persönlichkeit machen zu können, z.B. bei einem langen Spaziergang.

Es ist jedoch sehr offensichtlich, dass deine sehr schlechte Meinung, die du anscheinend über dich hast, auf deine sozialen Interaktionen abfärbt. Wir strahlen ja aus, was wir denken und fühlen! Im Guten, wenn wir uns so annehmen, wie wir sind, und im Schlechten, wenn wir uns selbst niedermachen. All das spüren die Menschen um uns herum. Daher ist eine konsequente Aufarbeitung der Ursachen so entscheidend, um eine Veränderung zum Positiven zu erzielen.
Es kann jedoch sein, dass du dich nicht von Vornherein abwertest, sondern dass du einfach sehr gestresst bist unter Menschen bzw. in "0815-Zusammenhängen". Daher schau dir bitte gut an, was dich energetisch zu sehr auszehrt und wo du die Zeit für dich einfach brauchst. Introvertierte, hochsensible und/oder schüchterne Menschen brauchen davon u.U. einfach viel mehr, auch tägliche Erholungsphasen, um danach wieder in soziale Interaktion treten zu können.

Im Folgenden schreibe ich noch etwas weiter gefasst, weil ich nicht erfassen kann, ob du grundsätzlich so schlecht über dich denkst oder ob das nur in bestimmten Phasen/Situationen auftritt.

Ich beginne mit wichtigen Stichworten: Eindrücke und Persönlichkeit.
Es ist oftmals schwierig, irgendwo sozial "Fuß zu fassen", weil der erste Eindruck so entscheidend ist und Menschen dazu neigen, vorschnell Schlüsse zu ziehen, ohne sich die Mühe zu machen, eine Person weiter kennenzulernen.
Ich muss auf der anderen Seite allerdings auch zu bedenken geben, dass dieser erste Eindruck, bzw. auch eine gewisse Zeit, die man mit Leuten gemeinsam verbringt, sehr prägend sein können - anhand kleiner Dinge kann schon innerlich die Ablehnung oder die Annahme einer Person erfolgen. Und das sind dann schnell so profane Dinge wie körperliches Erscheinungsbild, Mundgeruch, Ausdrucksweise, Blicke, gewählte Gesprächsthemen, etc. Man merkt es vielleicht nicht, fällt aber ungewollt negativ auf und wird dann gemieden. Das kann schon mit dem Gefühl beginnen, dass die neue Person nicht zum Rest der Gruppe passt. Es geht also nicht darum, dass du schuld bist oder irgendwer anderes. Wir sind soziale Wesen, aber eben auch stark durch verschiedenste Einflüsse geprägt und bestimmt. Je eher wir bestimmte Mechanismen im zwischenmenschlichen Bereich erkennen können, desto eher können wir uns aus einer "sozialen Sackgasse" heraus manövrieren und andere Kreise ansteuern, die viel eher zu uns passen.
---> Du bist, um das zu betonen, keineswegs allein mit deinem Anliegen und viele andere Ratsuchende werden sich in deiner Beschreibung wiederfinden.
Mein erster Tipp lautet daher: Achte darauf, wie sich die ersten Sekunden und Minuten bei einer neuen Begegnung anfühlen, wie dein Gegenüber auf dich reagiert und umgekehrt. Denn du musst dich natürlich genauso wohl fühlen!
Die Körpersprache lesen zu lernen ist etwas, was hier sehr nützlich ist (und generell allen ans Herz gelegt werden kann).
Solltest du allerdings schon merken, dass du damit Schwierigkeiten hast, könnte das einen Teil zur Erklärung des Problems beitragen.
Menschen aus dem Autismus-Spektrum tun sich u.U. schwerer mit dem Deuten kleiner sozialer Hinweise, Zeichen und Andeutungen. Und so kann es passieren, dass man sozusagen schon frühzeitig "falsch abbiegt", während die Anderen "weiterfahren".
Ich würde das sowieso mit in Erwägung ziehen - also alle möglichen Ausprägungen im Bereich Neurodiversität abklären lassen. Es kann nämlich auch eventuell deswegen bisher mit deiner Psychotherapie gescheitert sein, weil eine wichtige Diagnose vielleicht noch aussteht. Es kann auch zusätzlich an mangelnder Sympathie/Passung gelegen haben. Daher rate ich dir außerdem als Tipp zwei, einen neuen Anlauf in Sachen Therapieplatzsuche zu starten.

Und hier der dritte Tipp, der sich nicht nur auf Therapie/passende Therapeut:in beziehen, sondern auf alle möglichen neuen Kontakte: Lerne dich selbst als Person so genau wie möglich kennen!
Das bedeutet letztlich auch, in der sozialen Interaktion authentisch zu sein und nichts vorzugeben, was der eigenen Person widerspricht. Denn ja, es ist ein netter Versuch, auf andere Leute zuzugehen, Fragen zu stellen etc. Doch entspricht es dir auch wirklich?
Wenn ja, ist das schon mal gut - dann suche dir gezielt die Kreise, in denen du eine hohe Wahrscheinlichkeit hast, Gleichgesinnte zu finden. Dort wird deine Offenheit dann sicherlich dankbar angenommen werden.

Im beruflichen Kontext ist es häufig so, dass es eine Ansammlung ganz verschiedener Charaktere gibt, genauso wie im schulischen. Das heißt im Umkehrschluss: Sei bitte nicht an der falschen Stelle enttäuscht. Es ist normal, dass man eher mit Glück richtig enge Beziehungen aufbauen kann, wo viele Unterschiede vorhanden sind (Alter, Erfahrung, private Interessen, Geschlechter, usw.). Ich sehe es sogar so: Wenn man mit Arbeits - oder Schulkolleg:innen abends noch "zusätzlich" ausgehen kann, ist das schon echt toll (weil gar nicht so selbstverständlich).

Mein vierter Tipp bezieht sich auf de Einschätzung deiner Person. Kannst du vielleicht mit Verwandten oder einer Freundin einmal darüber sprechen, wie du eventuell wahrgenommen werden könntest? Wo sie Stärken und Schwächen sehen hinsichtlich deiner sozialen Interaktion?

Und hier noch bissl Material zum Weiterlesen - es gibt unendlich viel und es wäre toll, wenn schaust, was du genauer wissen möchtest bzw. mit welchen Aspekten du in Resonanz gehst.
* https://de.wikihow.com/Kontakte-kn%C3%BCpfen
* https://www.brigitte.de/liebe/persoenlichkeit/psychologie--10-unbewusste-gewohnheiten--mit-denen-wir-andere-menschen-von-uns-stossen-13486934.html
* Körpersprache z.B.:
- https://de.wikihow.com/K%C3%B6rpersprache-lesen
- https://emotionen-lesen-lernen.de/koerpersprache-deuten-lernen/
* https://neurodivers.net/
* https://forum.introvertiert.org/
* https://www.bravebird.de/introvertiert-und-hochsensibel-die-etwas-andere-innenwelt/
* https://www.begabtenzentrum.de/hochbegabung-erwachsene/
* https://mein-kummerkasten.de/332983/Was-mache-ich-immer-falsch.html


So, nun komme ich zum Ende und hoffe, dir den ein-oder anderen Input gegeben zu haben, der dich etwas weiterbringen kann.
Und nicht zuletzt wünsche ich dir viel Kraft beim Bewältigen der familiären/gesundheitlichen Herausforderungen.

Sei lieb gegrüßt,
Nuala